Nur ein neues Etikett für die Partei?

■ In der 2. Runde des außerordentlichen SED-Parteitages geht es um Name und Programm / Von Matthias Geis

In der Dynamo-Sporthalle geht es heute nicht nur um das neue Etikett, sondern auch um Programm, Statut und die Abrechnung mit der unrühmlichen Vergangenheit. Egon Krenz persönlich soll den Rechenschaftsbericht des alten ZKs vortragen. Die absehbaren Diskussionen geben auch Aufschluß über die Akzeptanz der neuen Führung.

Nach dem Vorspiel vom letzten Wochenende steht heute in der Dynamo-Sporthalle in Ost-Berlin Brisantes auf der Tagesordnung: der Rechenschaftsbericht des alten Zentralkomitees, die Diskussion über das neue Parteistatut und die Programmdebatte auf der Grundlage des spektakulären Entwurfs der Reformgruppe aus der Humboldt-Universität. Zudem muß ein neuer Name her. Daß die beiden Tage kaum reichen werden, um auch nur einen dieser Punkte ausreichend zu behandeln, wird unterdessen den unterschiedlichen Kräften entgegenkommen. Die Debatte zur Parteivergangenheit anhand des Rechenschaftsberichts wird unter Zeitdruck voraussichtlich ebenso halbherzig geführt werden wie am letzten Wochenende, wo die Angst vor Spaltung und Selbstzerfleischung jeden ernsthaften Versuch einer Aufarbeitung verhinderte. Das wird jedoch auch den Reformern bei ihrem Versuch zugute kommen, zumindest die Grundlinien des neuen Programms ohne allzu massive Widerstände durchzusetzen. Wenn allerdings Egon Krenz den Bericht ablegt - wie es das Zentralorgan der Partei in seiner gestrigen Ausgabe gefordert hat -, wird sich die Polarisierung der Delegierten kaum verhindern lassen. Die „offene und schonungslose Abrechnung der Arbeit des alten Politbüros“ habe nicht anonym, „sondern in Person des letzten Generalsekretärs“ zu erfolgen.

Der offene Konflikt zwischen denen, die sich nur unter dem Druck der Ereignisse von den alten Positionen verabschiedet haben, und dem überzeugten Reformflügel, der schon im Interesse der Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft des neuen Parteiprofils an einer Debatte über die bisherige Politik interessiert ist, könnte die Neuformierung entscheidend gefährden.

Deshalb wird auch die Parteikritik der entschiedenen Reformer am Ende eher moderat ausfallen. Selbst Gysi bemüht sich seine Einschätzungen zur bisherigen Politik immer mit dem Hinweis auf diejenigen Parteimitglieder abzufedern, die sich auch in der Vergangenheit um eine redliche Politik bemüht haben. Der Verweis auf die „Strukturen“ verstellt mittlerweile auch in den Äußerungen der Reformer die notwendige Analyse und ihre Offenlegung. Im Schutz dieser „Strukturen“ finden sich jetzt diejenigen wieder, die vermeintlich nur instrumentalisiert wurden und die sich um das Eingeständnis persönlicher Verantwortung drücken.

Die Reformer durchschauen zwar die Verdrängungsmechanismen, können aber nicht offensiv dagegen angehen. Denn die Position der Parteiintellektuellen wie ihres neuen Vorsitzenden, die der Arbeiterpartei ein Programm zumuten, das mit allen bisherigen Orientierungen bricht, ist noch keinesfalls gesichert. Viel spricht dafür, daß sie nur aufgrund der Paralyse der konservativen Kräfte, der Desorientierung der Basis, und des geschickten Taktierens von Berghofer und Gysi in der jetzigen Situation dominieren.

Der Fahrplan, der den Reformern vorschwebt, wird sich ohnehin nicht durchhalten lassen. Schon für die Verabschiedung des neuen Parteistatuts, mit dem eine grundlegende Demokratisierung des Parteilebens verankert werden soll, sind ausladende Diskussionen abzusehen. Als sicher gilt, daß auf dem Parteitag kompromittierende Passagen des alten Statuts gestrichen werden. Zum „kompromißlosen Kampf gegen alle Erscheinungen der bürgerlichen Ideologie“ will sich in der Partei niemand mehr verpflichtet wissen. Zumindest einige Statuten werden schon am Wochenende außer Kraft gesetzt. Doch gilt die Sanktionierung unterschiedlicher Strömungen innerhalb der SED und deren Recht auf Artikulation nach außen noch immer als umstritten. Auch den Programmentwurf möchten einige am liebsten auf die lange Bank schieben. Ein Delegierter, der im 'ND‘ zitiert wurde, trifft eine weitverbreitete Stimmung an der Basis: Es komme jetzt nicht darauf an, ein strategisches Programm zu entwickeln, sondern die aktuellen Aufgaben so zu formulieren, daß sie „klar und verständlich für jedermann“ seien.