: Spione aus der Kälte
Agenten kommen frei / K.O. für DDR-Oberligist / Neonazi-Aktivitäten steigen ■ E R E I G N I S D D R
Noch vor Weihnachten sollen rund 30 in der DDR verurteilte Spitzel vom Verfassungsschutz und dem Bundesnachrichtendienst freikommen. Es soll sich dabei sowohl um BRD- als auch um DDR-Bürger handeln, die bei hiesigen Besuchen gezielt angeworben wurden und nach entdeckter Tat zumeist in Bautzen schmoren mußten.
Ob die entlassenen DDRler dann den Neckermann-Sonderkatalog für DDR-Bürger in Anspruch nehmen wollen, ist unbekannt. Mit dem Titel „Ausgewählte Preishits“ will Neckermann nun auch die DDR-Bürger ans Mittelmeer und nach Österreich locken.
Vielleicht sollten sich die Neckermänner, um den Bedarf abzuchecken, ja an das erste unabhängige DDR -Meinungsforschungsinstitut wenden. Die Gründung eines solchen wird derzeit von einer Arbeitsgruppe am Institut für Soziologie und Sozialpolitik der Akademie der Wissenschaften vorbereitet. Denn die DDR-Meinungsforschung hat selbstredend auch ernstzunehmende Aufgaben. Zum Beispiel die Erforschung des rechtsradikalen Potentials, das immer mehr zuzunehmen scheint. Jedenfalls ist die Zahl der polizeilichen Ermittlungsverfahren wegen „neofaschistischer Gewalthandlung und Aktivitäten“ von 44 Fällen im letzten Jahr auf 144 in diesem gestiegen. Und die NDPD beobachtet „mit ernster Sorge, daß Auftritte neofaschistischer Kräfte im Lande zunehmen und deren Formierung beginnt.“
Ob das mit polizeilicher Arbeit überhaupt zu bekämpfen ist? Aber auch davon unabhängig will die Bundesleitung der Polizeigewerkschaft im deutschen Beamtenbund der Volkspolizei in der DDR „die Hand zu gemeinsamer gewerkschaftlicher Arbeit reichen“.
Noch ein Männerverein ist in Aufruhr geraten: der DDR -Handball-Oberligist SG Dynamo Halle-Neustadt. Weil nämlich das Geld vom nicht mehr existierenden Stasi-Ministerium fehlt, sind die Handballer mitten in der Saison am Ende, die Mannschaft löst sich auf.
Noch fürchterlicher mußten die Folgen der Revolution dem SED-Funktionär Wolfgang Heydrich erscheinen, der am 11. November „in einem Zustand tiefer Depression seinem Leben ein Ende gesetzt“ hat. Der Funktionär, gleichzeitig Vize -Oberbürgermeister von Schwerin, war für Wohnungswirtschaft zuständig. Abmontierung, um grundlegend restauriert zu werden, das sah er wohl nicht als Lösung an, aber der Quadriga-Figurengruppe auf dem Brandenburger Tor soll nun auf diese Weise ab Januar zu Leibe gerückt werden. Der Ostberliner Magistrat will den öffentlichen Zugang zu diesem berühmten Tor wiederherstellen, die Gesamtanlage soll als denkmalpflegerischen Gründen allerdings nicht als neuer Grenzübergang dienen. Dafür soll vermutlich 1990 in nächster Nähe ein neues Loch in die Mauer geschnitten werden. Dafür werden an diesem Wochenende entlang der Grenze zu Niedersachsen fünf weitere Übergänge für Fußgänger geöffnet.
usche
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