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Der Kampf der Mentalitäten

Nach den beiden ersten Tagen des Tennis-Daviscup-Finales führte die BRD gegen Schweden mit 2:1  ■  Aus Stuttgart Herr Thömmes

Also gut, es war alles ein großer Irrtum. Lange nämlich, zu lange, wurde davon ausgegangen, die Qualität eines Tennisspielers hänge ab von der Qualität seiner Schläge; eine Rückhand sei eine Rückhand und nichts als eine Rückhand. Und hatte nicht Niki Pilic, der Trainer des Davis -Cup-Teams, noch wenige Tage vor Stuttgart diesen Trugschluß mit der Forderung an seine Jungs genährt, jeder müsse „tausend, tausend und noch einmal tausend Bälle schlagen“? Alles Mumpitz.

Beispiel Boris Becker. Der ist beim Masters-Turnier im Finale gegen Stefan Edberg am Ende derart tranig über den Platz geschlichen, daß man sich ernste Sorgen machen mußte, die Beine würden für eine ganze Weile ihren Dienst versagen, und der Davis-Cup mithin unabdingbar nach Schweden wandern. So schlimm war's, daß 'France-Soir‘ schon glaubte, er sei „durch irgendein Leiden behindert“. Kummervoll wandte sich der taz-Reporter an den Leibarzt der Mannschaft, doch Prof. Keul gab umgehend Entwarnung: Keine Sorge, alles in Ordnung. Was war dann los? - Alles mental!

So einfach ist das. Ein beständiger Kampf tobt da in der menschlichen Hülle: Kopf gegen Herz und Muskeln. Verliert der Kopf, gewinnt der Gegner. Weshalb Becker im Notfall auch nicht mehr seinen Schläger anjammert, sondern vom Großhirn aus exakte Befehle an die Gliedmaßen aussendet: Knie gebeugt, rechter Arm hoch, Körper strecken - As. Das klappt nicht jeden Tag, nur bei der Aktivierung allen Willens, aber prinzipiell gilt für die neu gewonnene Leistungskonstanz: „mehr mit dem Kopf als mit dem Herzen“ ('Stern‘).

Ein bißchen paradox klingt das schon, daß ausgerechnet Sportler, die schließlich ihren Körper bewegen, schiere Kopfmenschen sein sollen, aber Boris Becker läßt sich nicht davon abbringen: „Ich würde sagen, es ist zu 95 Prozent eine Sache des Kopfes. Der Unterschied zwischen Nummer 100 und der Nummer eins ist sehr gering. Der Unterschied entscheidet sich im Kopf“ ('Sports‘). De facto hat der Leimener in Stuttgart sich dann ziemlich herzlos gezeigt gegen Stefan Edberg, und dem blieb nach 1:44 Stunden nur ein irritiertes Kopfschütteln. Fast wie dem Mats Wilander das ganze Jahr über. Von Platz 1 auf Platz 12 abgerutscht in der Weltrangliste, so war der angereist und hatte zuvor über den Zustand seines Schädelinneren wenig erfreuliches zu vermelden gewußt: „Sehen Sie mich an: Ich treffe den Ball derzeit lange nicht so gut wie Boris, eben weil ich inzwischen davon überzeugt bin, daß ich ihn nicht gut treffen kann.“ Carl-Uwe Steeb vernahm das gerne. Er hatte übers Jahr den umgekehrten Weg genommen, war bei Platz 15 angelangt und hatte davon ableiten wollen, „daß ich zur Zeit der bessere Spieler bin“. Doch auch diese Variante kann schlecht sein, mental gesehen. Weil er nämlich nach dem dritten Satz gedacht hat, „jetzt hab‘ ich's“, was sich als Täuschung herausstellte nach schließlich 4:24 Stunden. Und Wilander wunderte sich, ein Jahr zurückdenkend, wo er als Nummer 1 gegen Steeb sensationell verlor aber „physisch besser“ dran war als derzeit. „But mentally...“

Wo alles so durchgeistigt ist muß uns Zuschauern zwangsläufig manches rätselhaft bleiben. Wir sehen nur Arme und Beine sich und Schläger bewegen, könnten also genauso gut wie Beckers Boris nach dem samstäglichen Doppel fragen: Warum waren im ersten Satz die Schweden die Besseren und verloren, und im vierten war es dann umgekehrt? Wer weiß.

Das Endresultat ließe sich da schon eher einschätzen. Becker schlug die Bälle recht geistvoll und gefühlig, indes Eric Jelen Ball um Ball ins Netz sausen ließ, beim Rückhand -Rückschlag vornehmlich. Kopflos hat ihn das nicht gemacht. „Weil mir egal ist, was die Leute denken. Ich hab‘ gut gespielt.“

Das ist halt der Unterschied zwischen dem normalen Leben und der Tenniswelt: Was bei uns als spinnert gelten würde, daraus wächst denenmentale Stärke.

Freitag: Steeb - Wilander: 7:5, 6:7, 7:6, 2:6, 3:6. Becker - Edberg: 6:2, 6:2, 6:4.

Samstag: Becker/Jelen - Jarryd/Gunnarson: 7:6, 6:4, 3:6, 6:7, 6:4.

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