: Unterwanderer
■ E R E I G N I S D D R
Die rote Nelke, Traditionsblume auf Umzügen am 1.Mai, erlebt in der DDR ein unverhofftes Comeback. Eine Gruppe von BürgerInnen, die sich „Die Nelken“ nennt, hat für den 15. Januar die Gründung einer neuen marxistischen Partei angekündigt, die sich vor allem der Werktätigen annehmen soll. Ein neues Gesicht hat sich nach der SED nun auch das Parteiblatt 'Neues Deutschland‘ zugelegt. Mit den Werktätigen haben es die Redakteure nicht mehr so. Am Montag war in der Unterzeile das vertraute „Proletarier aller Länder, vereinigt euch“ durch „Sozialistische Tageszeitung“ ersetzt. Analog zu den Parteitagsbeschlüssen vom Wochenende trägt das Impressum jetzt die Überschrift „Zeitung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands - Partei des Demokratischen Sozialismus“ - ZdSED-PDS also?
Angst vor der SED, ungeachtet der drei Buchstaben hinterm Bindestrich, hat die CSU. Sie befürchtet, die Partei werde Demonstrationen anläßlich des Kohl-Besuchs manipulieren, um das Meinungsbild der Bevölkerung in der Frage der Vereinigung beider deutscher Staaten zu verfälschen.
Die gefürchteten Herren mit den Unterwanderstiefeln haben sich unterdessen offenbar in den Reihen des Neuen Forums breitgemacht. Die Oppositionsgruppe sprach sich nämlich gegen eine Vereinigung aus. Ein solcher Schritt könne in der Zukunft nur auf der Grundlage der Gleichberechtigung beider deutscher Staaten erfolgen. Voraussetzungen seien Entmilitarisierung, Neutralität, Abschluß eines Friedensvertrages, Garantie der Oder-Neiße-Grenze, soziale Sicherheit für alle, Recht auf Arbeit und Wohnung und gerechte Wirtschaftsbeziehungen zur Dritten Welt.
Eine neue Version der alten DDR-Nationalhymne, aus der auch die umstrittene Zeile „Deutschland, einig Vaterland“ stammt, legten am Wochenende die Kabarettisten der Distel aus Ost -Berlin vor: „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt, werden wir den Kohl nun kriegen, oder hält der Modrow stand?“ hieß es in einer gemeinsamen Galavorstellung mit den Westberliner Stachelschweinen. Wahrscheinlich waren auch da wieder SEDler am Werk...
Eine Forderung der Kabarettisten könnte möglicherweise unter ehemaligen politischen Gefangenen in der DDR auf Beifall stoßen: „Unsere früheren Oberen müßten eigentlich 28 Jahre so leben, wie wir leben mußten, das ist wesentlich besser als ein Parteiverfahren!“ Die Exhäftlinge hatten sich gegen eine Starthilfe für arbeitslos gewordene Stasi -Mitarbeiter gewandt.
b.s.
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