: „Bißchen Saufen, Scheiße bau'n“
Drei Punks aus Ost-Berlin berichten davon, was Punk-sein in der Hauptstadt der DDR heißt: „In der U-Bahn fliegen die Köppe rum“ / „Früher biste oft aufs Bullenrevier Keibelstreet mitgenommen worden“ / Angst vor Skinheads ■ I N T E R V I E W
Bei der Demonstration „gegen Ausverkauf und Wiedervereinigung“ am Montag abend in Ost-Berlin traf die taz die drei Punks Wuschel (20), Keks (18) und Fliege (18). Wuschel arbeitet als Putzfrau, Keks lernt Krankenpfleger, und Fliege macht eine Lehre als Zimmermann. Das Outfit der drei unterscheidet sich kaum von dem westlicher Punks: gefärbte, verfilzte Haare bzw. einen Teil des Schädels kurzgeschoren, diverse Sicherheitsnadeln und Ringe in den Ohren und einen Stecker in der Nase. Alle drei tragen alte Stiefel, dunkle, halbzerfledderte Hosen und notdürftig geflickte Lederjacken, die mit Nieten, Plaketten, roten Sternen und Parolen wie „Nazis raus“ oder „Entmündigt“ geschmückt sind.
taz: Was bedeutet Punksein für euch?
Wuschel: Einfach det machen, wat de willst. Frei sein, bißchen saufen und Scheiße bau'n.
Fliege: Fun haben.
Was heißt das in der Hauptstadt der DDR?
Wuschel: Daß de total schräg anjekiekt wirst. Früher war det zum Beispiel so, daß du von den Bullen immer angehalten wurdest und die deinen Ausweis verlangt haben und die dich total wie den letzten Dreck behandelt haben. Und die Bürger kieken dich och total schräg an. Seitdem die Grenze offen is, hat mich noch kein Bulle angehalten, ick weiß nich, ob sie det noch machen.
Zieht ihr euch auf Arbeit anders als jetzt an?
Wuschel: Ick geh so hin wie ick aussehe. Wenn ick so nur in der Freizeit rumrennen würde, kann ick's gleich lassen.
Keks: Ick muß mir ja sowieso weiße Klamotten anziehen und um den Kopf bind ick 'n Tuch. Frisurmäßig kann ick da nicht so rumrennen, dann kippen die alten Omas aus'n Latschen.
Fliege: Hinterm Rücken wird uff jeden Fall über een jequatscht.
Geht ihr denn regelmäßig arbeiten?
Wuschel: Klar, müssen wir ja. Wenn du nich arbeiten gehst, kannst damit rechnen, in 'n Knast zu kommen. Wo ick voriges Jahr acht Monate nich arbeeten gegangen bin, sind mir die Bullen total auf'n Sack gegangen. Dann kommt der Abschnittsbevollmächtigte zu dir nach Hause und fragt, wovon du lebst und woher du det Geld hast. Da biste och öfters mal aufs Bullenrevier Keibelstreet mitjenommen, ausgefragt und sitzen gelassen worden. Ick hab dann immer jesagt, ick kümmer mich um Arbeet, damit sie mir nich am Arsch können.
Was heißt am Arsch können?
Wuschel: Wegen Asozialität drei Monate hinter Gittern landen.
Fliege: Da ham schon Leute länger gesessen.
Wie reagieren die normalen DDR-Bürger?
Fliege: Meene Mutter find det nich gut, aber die akzeptiert mich so, wie ick bin. Ansonsten kann ick nur ablachen über diesen ganzen Spieß, wie die Köppe rumfliegen, wenn ick in die U-Bahn komme und die Eltern mit ihr'n kleen Kindern tuscheln. Aber det geht mir total am Arsch vorbei.
Auch wenn du ohne deine Kumpels unterwegs bist?
Fliege: Wenn man alleene is, fühlt man sich nich so richtig wohl wegen den Skinheads. Im Prenzelberg hat man aleene keen Schiß, aber in dem Neubaugebiet Hohenschönhausen is det schon 'n komisches Gefühl, vor allem, wenn Fußballspiele sind.
Wuschel: Die dreschen dich uff, wenn se dich sehen, det sind doch allet so 'ne Hirsche.
Wie verhalten sich die Leute, wenn ihr in Gaststätten kommt?
Wuschel: Die lassen dich meistens nich rin, aber die sagen nie den Grund. Entweder heißt det, alles besetzt oder wir haben bald zu.
Hat sich für euch denn durch den Umbruch etwas verändert?
Fliege: Die typische Spießbürgerlichkeit und Engstirnigkeit von den DDR-Bürgern wird sich nich ändern. Man wird immer noch schief anjekiekt uff Demos und so. Dabei waren es so ne Leute wie wir, die die Kastanien aus dem Feuer geholt haben, weil se sich nich anjepaßt haben. Daß einzig Positive is, daß man nicht mehr den ständigen Kontrollen ausgesetzt ist. Die Reisefreiheit is nur was für reiche Leute, ick kann mir keen Italien leisten, ick konnte mir noch nich mal Ungarn leisten. Dat einzige is West-Berlin.
Was ist euer Eindruck von West-Berlin?
Wuschel: Die Leuten kieken nich so, die haben keene Schwierigkeiten mit Punks.
Fliege: Unsere Hauptzielrichtung beim ersten Mal war natürlich Kreuzberg, Pink-Panther. Allmählich kriegt man auch tiefere Einblicke, daß drüben fast jeder Erfahrungen mit Drogen hat. Det gibt et hier in dem Ausmaß nich.
Was werden hier für Drogen genommen?
Fliege: Hier schnüffeln die Leute „Nut“ (Fleckenentferner, d.Red.), Tabletten, Antibiotoka und Alkohol wird viel jenommen.
Wuschel: Ick fand „nuten“ och jut, aber ick mach's nich mehr, seit ick gehört habe, daß die Leute davon Lungenrisse bekommen haben.
Stößt euch der Drogenkonsum im Westen ab?
Fliege: Mich zieht det eher an.
Überlegt ihr, in den Westen zu gehen?
Wuschel: Ick will lieber hierbleiben. Hier brauch ick nix bezahlen, wenn ick mal krank bin.
Keks: Mir gefällt det gut drüben, aber ick bin immer wieder froh, wenn ick wieder schön zu Hause bin.
Warum habt ihr heute gegen die Wiedervereinigung demonstriert?
Wuschel: Ick hab totalen Schiß, wenn ick die ganzen REPs sehe, und daß ick dann vielleicht keene Arbeit mehr habe, weil ick so aussehe. Und daß die Mieten total hoch sind, und ick dann vielleicht in der Gosse lande.
Keks: Ick find's blöde, daß die Leute hier bei uns vergessen, daß det Soziale bei uns sehr gut ist.
Hast du dein Palästinenser-Tuch hier gekauft?
Fliege, lacht: Det hing gerade so günstig beim Türken in West-Berlin.
Was hast du dafür bezahlt?
Fliege, lacht noch mehr: Nichts.
Und wo kommt der Mercedesstern an deiner Jacke her?
Keks: Hab ick drüben abjebrochen, der hängt hier für abjebrochenen Kapitalismus.
Klaut ihr hier auch?
Allgemeines Gelächter, Wuschel: Ja.
Fliege: Der Alkohol is 'n bißchen teuer...
Keks: Zu essen och. Butter is viel zu teuer, von meenen 200 Mark kann ick mich keen janzen Monat ernähren, wenn ick noch wohin will. Das Neubauten-Konzert z.B. kostet 30 Mark.
Was passiert, wenn man beim klauen erwischt wird?
Keks: Ich mußte einfach hinlegen und fertig.
Wuschel: Mich ham sie noch nicht erwischt.
Fliege: Man muß den dreifachen Preis bezahlen, wenn man's zurückgibt, und wenn nich, den vierfachen. Es kann dir aber auch passieren, daß de ne Anzeige kriegst.
Interview: Plutonia Plarre
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen