: Ein Blick zurück nach vorn
■ Die Stimmung im rot-grünen Senat ist aggressiv wie noch nie / Unser Artikel schildert den Niedergang der rot-grünen Regierung in Hessen im Februar 1987 / Börner feuerte Fischer - und heulte dabei / Bis heute haben die Hessen-Sozis den Koalitionsbruch nicht verarbeitet
„Zehn Tage Galgenfrist für die Koalition“ hatte die Basis der hessischen Grünen auf ihrem Koalitionsbruchparteitag im mittelhessischen Langgöns am 7. Februar 1987 dem sozialdemokratischen Seniorpartner noch zugestanden. Doch Ministerpräsident Holger Börner und sein Wirtschaftsminister Ulrich Steger, der im Januar mit seiner Genehmigungsankündigung für die Hanauer Plutoniumfabrik „Alkem“ die Lunte an das spannungsgeladene historische Regierungsbündnis zwischen SPD und Grünen gelegt hatte, brauchten nur zwei Tage, um den Sprengsatz zu zünden: Börner feuerte am Montag nach der Landesversammlung der Grünen seinen Umweltminister Joschka Fischer aus Amt und Würden, weil der in Langgöns nach eigenen Angaben ohnehin seinen letzten Rechenschaftsbericht als Minister abgeliefert habe. Börner: „Herr Fischer möge mit meinem Büro einen Termin zum Empfang der Entlassungsurkunde vereinbaren.“
Noch am Abend kam Joschka Fischer in die Staatskanzlei und Holger Börner verabschiedete den Grünen mit Tränen in den Augen. Nur einen Tag später warf der ehemals starke Holger „aus gesundheitlichen Gründen“ selbst das Handtuch. Die Sozialdemokraten unter ihrem Interimsleader Krollmann stimmten den Anträgen der anderen Parteien auf Auflösung des Landtages zu. Die legendäre rot-grüne Koalition war geplatzt, und auch die nach dem Rücktritt Börners von SPD und Grünen angestrebte Resurrektion des Bündnisses fand nicht statt: Seit April 1987 wird das einst so fortschrittliche Bundesland Hessen von der rechtsliberalen Koalition des tranigen Ministerpräsidenten Walter Wallmann regiert.
Bis heute hat die Landtagsfraktion der hessischen Sozialdemokraten die Niederlage von 1987 - mehr noch den beschämenden Dilettantismus, mit dem die Koalitionskrise damals gerade von den SPD-Exponenten bis zum Koalitionsbruch zugespitzt wurde - nicht überwunden. Auf den Landesparteitagen der Sozialdemokraten stellen die Kritiker des Parteivorstandes noch immer unangenehme Fragen, so daß die Wunde, die der Partei in diesen Tagen geschlagen wurde, nur schwer verheilt. Daß die SPD-Spitze entgegen der Programmatik der eigenen Partei die Plutoniumfabrik Alkem stützte und für eine Produktionsausweitung des Skandalbetriebes votierte, halten die Linken in der SPD etwa die Bundestagsabgeordnete Heidemarie Wieczorek-Zeul nach wie vor für die Hauptursache für den Koalitionsbruch. Ohne Rückendeckung durch die Basis, die in Südhessen noch innerhalb der von den Grünen gewährten Frist noch einen Sonderparteitag inszenieren wollte, habe der Landesvorstand mit Holger Börner an der Spitze einsame Entscheidungen getroffen und so die Partei in Hessen in ihre schwerste Krise geführt. Tatsächlich profitierten bei den Neuwahlen vor allem die Grünen vom Eiertanz der SPD um das Plutoniumkalb aus Hanau. Und die SPD rutschte - rechts und links unglaubwürdig geworden - so tief in den Keller, daß die Stimmenzuwächse der Grünen die Niederlage für Rot-Grün nicht verhindern konnten.
Tatsächlich hatte sich SPD-Chef Holger Börner schon zum Jahreswechsel 1986/87 verkalkuliert. Im Glauben, die klar realpolitisch orientierten hessischen Grünen würden auch in der Plutoniumfrage kuschen, weil die Koalition - nach den Wahlniederlagen der Partei in NRW und im Saarland - der letzte Rettungsanker für die unter die Fünf-Prozent-Marke absinkenden Grünen sei, kündigte Wirtschaftsminister Steger die Genehmigung für die Ausweitung der MOX -Brennelementeproduktion bei Alkem an. Doch der kleine Koalitionspartner, der überraschend gestärkt aus den Bundestagswahlen im Januar 1987 hervorgegangen war (bei der die SPD Verluste hinnehmen mußte), bot den Sozis die Stirn. Die Identität der Partei stehe in der Atom- und Plutoniumfrage auf dem Spiel, meinte Umweltminister Joschka Fischer. Und seinem Regierungschef erklärte der Grüne, daß das „Ende der Fahnenstange“ dann erreicht sei, wenn die SPD ihre Entscheidung nicht revidierte. Doch mit der rechten Gewerkschaftsbasis und den Grünfressern aus den eigenen Reihen im Nacken, die den Verlust von Arbeitsplätzen in Hanau prognostizierten, falls die SPD den Grünen entgegenkommen sollte, steuerte Börner seine Regierung sehenden Auges in den Crash.
Nachdem das Kind in den Brunnen gefallen war, war das Geschrei groß: Holger Börner hätte statt Joschka Fischer seinen „Atomminister“ Steger entlassen sollen, meinten nicht nur die Jungsozialisten. Und Teile der Landtagsfraktion wünschten dem „dappischen Minister Steger“ ('Der Spiegel‘) die Pest an den Hals. Steger selbst hat sich denn auch bald aus dem Landtag verabschiedet und einen Lehrstuhl für Ökonomie und Umwelt (!) bei der European Business School im Rheingau erklommen. Und Holger Börner sitzt nun als Chef der Friedrich-Ebert-Stiftung auf dem Altenteil.
Klaus-Peter Klingelschmitt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen