: „Der erste Soldat des Reiches ist gekommen“
■ Weihnachten war immer ein Tag der Besinnlichkeiten - auch vor 50 Jahren: Aus der Bremer Presse am Tage der „Kriegsweihnacht 1939“
„In Deutschland ist Weihnachten stets ernster und inniger begangen worden als bei unseren westlichen Feinden. Wir feiern ein Fest der Dankbarkeit und Liebe im Familienkreis, im engsten Zirkel der Freunde, während in England sich lauter Trubel gesellschaftlichen Tamtams und Flirts unter den Mistelzweigen entfaltet und in Frankreich die 'Heilige Nacht‘ gegenüber dem Betieb des Jahresendes völlig verblaßt. So stellt bei uns Weihnachten ganz andere geistige Anforderungen als bei den Gegnern. Wir grübeln - auch wenn
wir die christlichen Botschaften der Bergpredigt längst als unerfüllbar erkannt haben - gern über die Weihnachtsbotschaft: 'Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen‘... schreiben die Bremer Nachrichten am Weihnachtstag 1939. Weihnachten ist immer Anlaß für Besinnungen, Deutschland erlebt eine neue Kriegsweihnacht. Die englische Regierung versuche, die Deutschen Frauen und Kinder auszuhungern, verteilte die konservative Zeitung die Kriegsschuld und daneben stehen, unter den um den
Titelzug mit gekreuzten Tannenzweigen, Meldungen vom deutschen Mannes-Mut: Kapitänleutnant Prien von erfolgreicher Fahrt zurück, 26.159 Tonnen feindlichen Handelsschiffsraums versenkt, und so weiter.
Der Führer, werden die Bremer Nachrichten am 27.12. berichten, „feiert Weihnachten bei seinen Soldaten“. Überraschend sei er an der Westfront aufgetaucht, denn: „Konnte der Führer, der Zeit seines Lebens Soldat und Kämpfer war, dieses Fest schöner begehen als inmitten seiner Kame
raden an der Front?“ Geradezu rührend scheint die Reaktion „der Männer“ gewesen zu sein: „Behutsam nahmen sie die kleinen geschmückten Tannenbäume entgegen, die er für die einzelnen Männer in den Stellungen, die er besuchte, mitgebracht hat. Ganz vorsichtig hielten sie diese Pakete, in denen Backwerk und Schokolade, Pfefferkuchen und Getränke sind..„ Und die Bremer Nachrichten wissen: „Alle sind sie beherrscht von dem einen großen Gefühl der Freude, die der erste Soldat des Reiches durch sein
Kommen zu ihnen auch dem letzten deutschen Soldaten gemacht hat.“
Im Unterschied zu den Bremer Nachrichten wurde die Bremer Zeitung von den Nazis herausgegeben. „Ein Licht leuchtet in der Finsternis“, ist die große Schlagzeile am Weihnachtstag 1939. Die christlichen Verbrämungen sind den Schreibern bewußt: „Der göttliche Funke der Offenbarung Adolf Hitlers fiel in die Wirrnis, die nach dem Zusammenbruch 1918 in Deutschland eingezogen war...„ Es sei der „Tag der Wintersonnenwende“, versucht die Bremer Zeitung die Wendung zum germanischen Ursprung des Festes, „das Licht aus Deuschland leuchtet in die Finsternis der Welt“. Dereinst werde es einen Frieden geben, „der mehr als nur ein Waffenstillstand ist: ein Friede nach deutschen Begriffen...„
„Fast 60.000 Tonnen vernichtet“ heißt die Erfolgs-Meldung vom See-Kampf darunter.
Während die Bremer Nachrichten fürs Allzumenschliche einen Blick auf die Soldatenweihnacht wirf, bei der „auch das Tanzbein geschwungen wird, so
weit 'Damen‘ vorhanden waren - denn ohne geht es nicht“, kommt die Nazi-Zeitung zur Sache: Eine ledige werdende Mutter hat an den Führer-Stellvertreter Rudolf Heß geschrieben, berichtet die Weihnachtsausgabe. Sie ist stolz, von einem deutschen Mann ein Kind zu gebären. Der allerdings weiß von seinem Vaterglück nichts und die letzten Briefe der „Verlobten“ kamen zurück mit Stempel: „Gefallen für Großdeutschland“. So fehlt es der jungen Frau nun an der Kriegerwitwen-Pension.
Der Antwortbrief von Rudolf Heß ist in voller Länge dokumentiert. Unehelichkeit sei keine Schande, erklärt der, auch Wilhelm Busch hätte es nicht gegeben, gäbe es keine unehelichen Kinder. Deutschland brauche „rassisch gesunde Kinder“. Die „bürgerlichen Sitten und Gewohnheiten“ müßten in der besonderen Zeit einer „großzügigeren Auffassung“ weichen: „Gerade im Krieg, der den Tod vieler bester Männer fordert, ist jedes neue Leben von besondere Bedeutung für die Nation.„
kw
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen