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Der König vom Balkan

Nicolae Ceausescu (71) herrschte wie ein Fürst  ■ P O R T R A I T

Nicolae Ceausescu war der letzte Feudalherrscher stalinistischer Prägung in Europa. 25 Jahre lang lenkte der fast 72jährige unangefochten wie ein König im Kommunismus das südeuropäische Balkanland. Ceausescu bestimmte die Geschicke des Landes, gestützt auf seinen Familienclan. Seine Frau Elena saß als Vizeregierungschefin in der obersten Parteiführung. Sein Sohn Nicu machte als Parteichef in Hermannstadt Karriere. Eine Vielzahl seiner Verwandten oder der Verwandten seiner Frau bekleideten in Militär-, Verwaltung oder Partei Schlüsselpositionen. Ceausescu wurde nachgesagt, seine Frau oder gar seinen Sohn mit seiner Nachfolge zu betrauen.

Der erste Mann im Staate pflegte seit Jahren einen Personenkult, der in der jüngeren Geschichte wohl kaum eine Parallele finden dürfte. Auf den Parteikongressen brachten die Delegierten gewöhnlich ihrem Vorsitzenden serienweise stehend minutenlange Ovationen. Mitten in der Stadt waren in einem Museum 23 großflächige Ölbilder und vier Skulpturen zu sehen, die die Taten Ceausescus priesen. Wiederholt ließ sich der Staats- und Parteichef auch mit Zepter und Krone abbilden. Typisch für Ceausescus Personenkult waren auch die Wortmeldungen von Delegierten auf Parteikonferenzen: So hatte einer der Redner seinen Beitrag einmal mit der Einleitung begonnen: „Bitte gestatten Sie mir, den erlesenen Gefühlen des Dankes und der Hochachtung Ausdruck zu verleihen, die alle Söhne des Vaterlandes Ihnen, sehr geehrter Genosse Nicolae Ceausescu, entgegenbringen. Sie sind ein bewährter revolutionärer Kämpfer und heißgeliebter Sohn der Nation, ein Held unter Helden unseres Volkes“.

Immer wieder brüstete sich Ceausescu mit angeblichen Erfolgen seiner Politik, die sich in phantastischen Steigerungen der Industrieproduktion und - angeblichen großen Erfolgen der Landwirtschaft darstellten. Kritiker wiesen jedoch gleichzeitig auf den hohen Preis der von Ceausescu vorangepeitschten Industrialisierung Rumäniens hin: Die Bevölkerung mußte wie sonst keine mehr in Europa auf das Notwendigste verzichten - Heizmaterial, Stromversorgung und Lebensmittel reichten oft genug nicht einmal zum Überleben. Rigoros setzte der selbsternannte „Conducator“ (Führer) Rückzahlungen rumänischer Auslandsschulden von einst elf Milliarden Dollar durch. Viele lebenswichtige Produkte des Landes wurden exportiert, um Devisen zur Schuldentilgung zu erwirtschaften. Und das Volk hungerte sich durch vier Entbehrungswinter hindurch, ehe jetzt nach der letzten großen Selbstdarstellung der Führungsclique beim Parteikongreß im Land die Unruhen ausbrachen. Auch ein Versuch in letzter Minute, Mindestlöhne und Renten anzuheben, half nichts mehr: Als Ceausescu diese Maßnahmen ankündigte, hörte er zum ersten Mal die Rufe „Nieder mit Ceausescu“ und „Wir wollen Freiheit“.

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