: Der langsame Tod des Gesetzes
■ In Sri Lanka gilt nicht mehr das Gesetz, sondern die Herrschaft der Gewehre
Prins Gunasekara
Sri Lanka ist im vergangenen Jahrzehnt Zeuge des Niedergangs und fast völligen Sterbens seiner demokratischen Institutionen geworden: die Herrschaft des Gesetzes wurde gegen die Herrschaft der Gewehre eingetauscht. 1977 hatte die Regierung von Sirima Bandaranaika, die zwei Jahre über die normale Regierungsperiode von fünf Jahren hinaus im Amt geblieben war, bei den Wahlen eine Niederlage erlitten. Die Regierung der Vereinigten Nationalpartei (UNP) hatte eine eindeutige Mehrheit - von fünf Sechstel der Sitze - für eine sechsjährige Regierungszeit erhalten. 1982 jedoch wurde der Premierminister J.R.Jayawardana durch Verfassungsänderung zu einem „Elected Executive President“ (etwa „Gewählter Exekutiv-Präsident“). Jayawardana manipulierte ein Referendum und verlängerte die Parlamentsperiode um weitere sechs Jahre, ohne daß Neuwahlen stattfanden.
Der darauf folgende Prozeß der Erosion demokratischer Normen und Praktiken, der schließlich zur gegenwärtigen Tyrannei und Unterdrückung führte, begann mit dem Entzug des Stimmrechts von Sirima Bandaranaika für sechs Jahre; am Ende wurde sie aus dem Parlament ganz ausgeschlossen. Die Verweigerung elementarer Rechte auf gewerkschaftlichen Zusammenschluß und Streik, die Zerschlagung aller öffentlichen Anti-UNP-Versammlungen durch gedungene Verbrecher mit ministeriellem Rückenschutz, die zunehmende Verletzung von Menschenrechten, Abschaffung aller studentischen Repräsentationsorgane an den Universitäten all das wurde immer offener und rücksichtsloser betrieben.
Ein nicht erklärter Bürgerkrieg und Nationalkonflikt wütete mit zunehmender Gewalt im Norden und Osten des Landes. Das Gesetz zur Verhinderung von Terrorismus (Prevention of Terrorism Act) wurde erlassen.
Im Juli 1983 mußte ein Massaker an tamilischen Bürgern in Colombo zur Rechtfertigung des nun erklärten Ausnahmezustands herhalten. Dieser Ausnahmezustand dauert inzwischen sechs Jahre. Er erlaubt Polizei- und Militärkräften, jederman auf unbestimmte Zeit und ohne Anklageerhebung zu verhaften und festzuhalten und Tote ohne Postmortem-Untersuchung oder Amtsbescheid begraben zu lassen. Der Ausnahmezustand verbietet jegliche gegen die Regierung gerichtete Publikation, entsprechende Plakate, Slogans oder Fahnen und die Bildung von politischen Parteien; normale Aktivitäten demokratischer Willensbildung gelten nun als illegal: Angebrochen ist ein dunkles Zeitalter der Repression und der autokratischen Herrschaft.
Die Volksbefreiungsfront JVP, nach dem Wahlgesetz eine zugelassene politische Partei und ein mächtiger Gegner des Regimes, wurde verboten, ihre politischen Führer und geschlossenen Organisationen wurden in den Untergrund verwiesen. Ein Zusatz zur Verfassung warf Mitglieder der Opposition - der Vereinigten Tamilischen Befreiungsfront TULF - samt ihrer Führung aus dem Parlament. Die Erstickung jeder demokratischen Opposition machte das Entstehen eines klandestin-organisierten Widerstands unvermeidlich.
Das Oberste Gericht hielt einstimmig am Recht der freien Meinungsäußerung fest in dem bekannt gewordenen Fall der theologischen Zeitschrift Pevidi Handa („Stimme des Klerus“) und verurteilte den hierin beschuldigten Polizisten Udugampola zu einer Geldstrafe. Die Strafe zahlte das Staatssäckel, direkt aus dem Etat des Präsidenten. Der Polizist wurde befördert. Von der Regierungspartei gedungene Verbrecher bedrohten die Richter in ihren Wohnungen; die hiervon unterrichtete Polizei ignorierte die Klagen der Richter - immerhin Mitglieder der höchsten rechtssprechenden Instanz des Landes. Inzwischen ist der Polizist Udugampola stellvertretender Generalinspektor der Polizei. Die Hüter des Gesetzes haben eine klare Botschaft erhalten: Steht zur Regierung, und ihr werdet belohnt!
Die Mai-Demonstration von 1987 wurde auf dem Hof des Abhayaramaya-Tempels mit einer friedlichen Kundgebung beendet. Als sich die Menge auflöste, begann die Polizei zu schießen. Zwei Menschen wurden getötet.
Ein Referendar, der Haftprüfungsverfahren unterstützte, wurde verhaftet und gefoltert; er starb im Polizeiarrest (1988). Mit mehreren anderen Anwälten war ich bei der anschließendenden Gerichtsuntersuchung zugegen, um das Interesse des Toten zu vertreten. Drei der Referendare, die die Sache des Ermordeten Liyanaratchi gegen die drei angeklagten Polizisten vertraten, wurden von unbekannten Personen ermordet: Sarat Ratnayake im Februar 1989, Charit Lankapura im Juli 1989 und Kanchana Abayapala im August 1989.
Wir bekamen viele anonyme Telefonanrufe und schriftliche Morddrohungen, die uns davor warnten , weiterhin Habeas -Corpus-Anträge (Gerichtsvorführungsbefehle) gegen Mitglieder der Sicherheitsdienste zu formulieren. Weder meine Kanzleikollegen noch ich selbst schenkten ihnen viel Aufmerksamkeit. Am Tag nach dem Mord an meinem Neffen, Rechtsanwalt Abayapala, und Schüssen auf seinen Vater erschienen drei maskierte Bewaffnete an meiner Tür. Ich floh mit meiner Familie nach Großbritannien.
Die Anwaltsvereinigung von Sri Lanka traf am 2.September 1989 in ihrem Büro in Colombo zusammen. Sie fanden einen Rundbrief vor - offensichtlich von den Sicherheitskräften -, in dem die Vereinigung „eine faschistische Organisation“ genannt wird, die „mit der Volksbefreiungsfront JVP kollaboriert“. Nur sehr wenige Anwälte beantragen jetzt noch Gerichtsvorführungen.
An den belebtesten Plätzen der Stadt - Lipton's Circus, Fort- und Maradana-Bahnhof - hängen Plakate und Slogans der Sicherheitskräfte aus, die frech und offen Rachemorde versprechen als Gegenmaßnahme zur wachsenden Gewaltsamkeit der Rebellen. Die Formel „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ ist dabei großzügig in das Verhältnis „Zwölf für einen“ übersetzt worden. Diese Drohung wird massenhaft wahrgemacht: deshalb die vielen Leichen, die in Flüssen vorbeischwimmen und auf den Straßen und in den Parks verstreut umherliegen. Jede Woche verschwinden Tausende. Der schmutzige Krieg in Sri Lanka fordert unendlich viele Menschenleben.
Der bereits verabschiedete Präsident gab den Sicherheitskräften noch auf den Weg: „Gegen die Bestien hilft nichts als töten, töten und nochmals töten...“, und er versprach Gesetze, die jeden Täter vor Strafverfolgung schützen. Das Gesetz, der Indemnity Act, wurde 1988 erlassen. Weder die Präsidentschaftswahlen von 1988 noch die Parlamentswahlen 1989 können als frei oder fair bezeichnet werden. Die Waffen regieren.
Die Unparteilichkeit der Gerichte, die Integrität des juristischen Prozesses und die Unabhängigkeit der Richter wird auf vielfältige Weise unterhöhlt. Es hat offenbar wenig mit Rechtssicherheit zu tun, wenn ein ehemaliger Oberster Richter unmittelbar nach seiner Pensionierung eine „Pension“ in Gestalt eines höchst lohnenden (und ebenso umstrittenen) Postens als Ratsvorsitzender der West-Provinz erhält. Und wenn der nächste Hohe Richter, der normalerweise auf den freien Stuhl berufen worden wäre, nicht befördert wird, da die Berufungsbehörde, also der Präsident, das Gefühl hat, „... daß er nicht besonders zuverlässig ist“. Das Gesetz ist machtlos geworden.
Sri Lanka ist seit langer Zeit Mitglied der Vereinigten Nationen und hat die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948) unterschrieben. Sri Lanka hat seine Unterschrift unter die internationale Konvention über zivile und politische Rechte gesetzt und ist der Genfer Konvention über Kriegsgefangene beigetreten. Zuflucht zu einem Habeas-Corpus -Antrag zu nehmen, diesem Eckpfeiler demokratischer Verfaßtheit, ist in Zeiten gesellschaftlicher Unruhe vor srilankischen Gerichten allgemeine Praxis geworden. Das zeigt die hohe Zahl der Fälle zwischen 1985 und 1989 (1985: 29 HC; 1986: 188 HC; 1987: 298 HC; 1988: 476 HC und in den ersten acht Monaten von 1989: 431 HC).
Kaum ein Anwalt jedoch strengt noch ein Habeas-Corpus -Verfahren in Bezug auf verschwundene Personen an, da ihm in diesem Falle Ermordung droht.
Das folgende Zitat aus der Präambel der Allgemeinen Menschenrechtserklärung von 1948 hilft vielleicht zu verstehen, unter welchem Trauma die Gesellschaft Sri Lankas gegenwärtig zu leiden hat:
“... ist es wesentlich, damit man nicht als letzten Ausweg zur Rebellion gegen Tyrannei und Repression gezwungen ist, daß die Menschenrechte durch das Gesetz geschützt sind.“
Heute gibt es in Sri Lanka in Sachen Menschenrechte kaum noch die Möglichkeit, vor Gericht zu gehen, und an die Stelle des Gesetzes ist offene Tyrannei getreten.
Prins Gunasekara war von 1955 bis 1989 Anwalt in Sri Lanka. Für seinen Kampf um Menschenrechte in Sri Lanka wurde er am 2.September 1989 durch staatlich gestützte Todesschwadronen bedroht und floh mit seiner Familie nach Großbritannien.
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