: Hinter der Regierung steht der Schatten der Armee
Der Philosoph Attila Ara-Kovacs (37) ist eine der Leitfiguren der Siebenbürger Oppositionsszene und war bis 1983 Herausgeber der ersten Untergrundzeitschrift gegen Ceausescu ■ I N T E R V I E W
Neun Nummern seiner Zeitschrift 'Ellenpontok‘ (Kontrapunkt) konnten damals in Rumänien erscheinen, bis Ara -Kovacs verhaftet und nach Ungarn abgeschoben wurde. Jetzt ist der Dissident, der auch ein enger Freund des oppositionellen Pfarrers Laszlo Toekes ist, zum ersten Mal wieder nach Rumänien gereist
taz: Herr Ara-Kovacs, ist das, was wir in den letzten Wochen in Rumänien erlebt haben, eine demokratische Revolution, vergleichbar mit denen in der DDR und der CSSR?
Ara-Kovacs: Rumänien gehört nicht zu Mittel- oder Westeuropa, die Bevölkerung hat keine demokratischen Traditionen. In der Geschichte des Landes ereigneten sich nie Revolutionen, sondern nur Rebellionen, spontane Aufstände, die oftmals regional begrenzt blieben und nicht in der Lage waren, für die gesamte Gesellschaft demokratische Strukturen durchzusetzen. Diese Tradition zeigte sich bisher auch im Verhältnis der Gesellschaft zu den Oppositionellen, zu den Dissidenten. Die klugen Köpfe blieben isoliert, die gesamte Gesellschaft konnte leicht gegen die Intellektuellen mobilisiert werden. Zwar war das Bild bei den nationalen Minderheiten etwas anders - die ungarischen Intellektuellen stießen auf mehr Resonanz, nur so konnte unsere Zeitschrift erscheinen, und sogar Doina Cornea, die mit ihren Petitionen an Ceausescu Aufsehen erregte, hatte bei den Ungarn etwas Rückhalt, doch die Unterstützung für die Dissidenten blieb im ganzen zu schwach, um etwas bewirken zu können.
Trotzdem durchlebt Rumänien jetzt eine echte Revolution, denn erstmals kann man ein politisches Konzept erkennen, das die Gesellschaft weiterführt. Die provisorische Regierung tritt mit politischen Vorschlägen an die Bevölkerung, und das ist zunächst einmal etwas Neues, etwas Konstruktives. Bei näherem Hinsehen bemerkt man jedoch auch, daß die Reformvorschläge nicht originär rumänisch sind, sondern von Prag und Budapest abgeschrieben sind. Kurz gesagt, es fehlt die rumänische Pointe. - Und noch ein anderer wesentlicher Unterschied zu den Entwicklungen in diesen Ländern ist festzustellen. In Rumänien war es die Armee, die der Tyrannei ein Ende setzte, und nicht die heroisch kämpfende Bevölkerung allein. Die Armee aber weigerte sich noch auf dem Höhepunkt der Kämpfe, die Bevölkerung zu bewaffnen. Für mich ist das ein Beispiel für die latente Spannung zwischen der Armee und der Bevölkerung. Auch die jetzige Regierung kooperiert nicht in angemessener Weise mit der Gesellschaft. Weiterhin sind die Schlüsselpositionen des Staates von Kommunisten und Militärs besetzt. Ob die sich nach den angekündigten freien Wahlen von der Macht zurückziehen werden, muß sich erst noch zeigen.
Wie bewerten Sie die Hinrichtung des Tyrannenpaars Ceausescu?
Diese Hinrichtung war ein unverzeihlicher Fehler. Es wäre besser gewesen, einen Prozeß ähnlich dem Kriegsverbrecherprozeß in Nürnberg zu führen. Doch das wäre für viele der neuen Führer unbequem geworden, die in der Vergangenheit loyal zu Ceausescu standen. Ihnen kam die sofortige Hinrichtung gelegen - der weiteren Demokratisierung des Landes jedoch nicht! Ich konnte über das Fernsehen den gesamten Ablauf des Prozesses miterleben. Und ich muß sagen, das war kein fairer Prozeß, sondern die altbekannte „Securitate-Liquidierungsmethode“. Ich fühlte mich an die eigenen Verhöre erinnert, in denen es nicht um die Wahrheitsfindung ging, sondern um erpreßte Geständnisse, nicht um Argumente, sondern um die Bestätigung vorgefertigter Urteile. Will man einen neuen Rechtsstaat errichten, so muß man schon von Anfang an Recht walten lassen und nicht Rache.
Der Ceausescu-Clan und die Securitate werden also zum alleinigen Sündenbock gestempelt. Sind damit die anderen, die Mitläufer und die Armee, in den Augen der Bevölkerung freigesprochen?
Es wird nun in der Tat ein neuer Mythos von einer demokratischen Armee geschaffen, dabei gingen die Blutbäder von Temesvar und Arad anfänglich auf das Konto der Armee. Doch der Sündenbock ist die Securitate. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will nicht die Securitate entschuldigen. Doch fügt sich dieser Mythos so nahtlos in die bisherigen Praktiken, ein Sündenbock wird geschaffen, und die Securitate wird zudem als von Arabern unterwandert hingestellt. Auch die neue Führung will nur ungern eingestehen, daß Rumänen auf Rumänen schossen, denn auch am nationalen Mythos hält man fest. Man muß sich das alte Herrschaftssystem so vorstellen: Die Securitate war die Gestapo, die auf Einzelpersonen angesetzt war, und die Armee die Waffen-SS, beide gehören zusammen wie zwei Augen zu einem Gesicht.
Immerhin, die Securitate wird abgeschafft, demokratische Rechte sollen garantiert werden, freie Wahlen abgehalten...
Diese Wahlen hätten einen Sinn, wenn sich in dieser kurzen Zeit Alternativen herausentwickeln könnten. Doch mit der Entwicklung der Parteien sieht es trübe aus. Vorerst muß es bei despotischen Herrschaftsformen bleiben, die zwar der Herrschaft Ceausescus vorzuziehen sind, die aber noch weit von westeuropäischen Demokratievorstellungen entfernt bleiben. In Windeseile gründen sich zur Zeit erneut die Vorkriegsparteien, die nicht demokratischen, sondern bäuerlich-feudalen und rumänisch-chauvinistischen Vorstellungen verpflichtet sind. Solange nicht moderne Parteien auf den Plan treten, wird Rumänien weiter der Entwicklung in Europa hinterherhinken.
Wie ist dann das neue Regime in Rumänien zu charakterisieren? Handelt es sich um eine Militärdiktatur oder doch schon um eine zivile Übergangsregierung?
Ion Iliescu und seine Mannschaft sind angesehene Persönlichkeiten. Dennoch steht hinter ihnen der lange Schatten der Armee, die in Wirklichkeit die Entscheidungen fällt. Die neuen Dekrete der Regierung sind ein reiner Bluff. Übrigens führte Ceausescu diese unselige Dekretpolitik ein, Dekrete brauchten weder vom Parlament verabschiedet noch mit der Regierung besprochen werden. Die Freigabe der Preise, das Versprechen, jedem Bürger einen Reisepaß auszustellen, die Einführung der 5-Tage-Woche (bisher mußten die Rumänen samstags und auch oftmals sonntags zur Arbeit antreten; d.Red.) sind Maßnahmen, die in diesem heruntergewirtschafteten Land nicht durchführbar sind. Das weiß auch die Armee, die sich vollständig darüber bewußt ist, daß nur eine „harte Hand“ das wirtschaftliche und politische Leben wieder wecken kann. Und wenn ihr dies nicht gelingt, drohen noch düsterere Aussichten. Dann könnte sich nämlich die Armee mit der erzkonservativen orthodoxen Kirche verbinden, ein „aufgeklärter Despotismus“ wie in Serbien wäre die Folge. Doch Hoffnung gibt es auch: Die demokratischen Kräfte sind durch die Ereignisse stärker geworden.
Das Gespräch führte Roland Hofwiler
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