Rumänien:

■ Bislang dominieren nach dem Sturz von Ceausescu

Die ersten Nachrichten des neuen Jahres sind ermutigend: Rumäniens Übergangsregierung hat die Todesstrafe abgeschafft, ein Parteiengesetz ist verabschiedet. Aber noch regieren die Streitkräfte, die das Ehepaar Ceausescu haben hinrichten lassen. Nicht wenige fürchten wie der oppositionelle Attila Ara-Kovacs, daß der Mythos einer demokratischen Armee wenig mit der Wirklichkeit zu tun hat. Wird man nicht doch nach einer starken Hand rufen, die die katastrophale Wirtschaftslage in den Griff bekommt?

Um die Jahreswende gibt es in Bukarest niemanden, der nicht der Armee eine entscheidende Rolle für den Sieg der Revolution attestiert. Aber innerhalb der Institution Militär gibt es enorme Spannungen, die Armee befindet sich in einer Umbruchsituation. Konkrete Zeichen dafür wurden letzte Woche durch die ersten Dekrete der neuen rumänischen Staatsführung publik, die eine ganze Reihe von Absetzungen und Beförderungen höherer Offiziere angeordnet hat.

Stefan Guse wurde als Generalstabschef der Armee abgelöst, und zur selben Zeit endete seine Mitgliedschaft in dem neuen obersten Führungsorgan Rumäniens, dem Rat der Front zur Nationalen Rettung. Die Ausschaltung von General Guse hat um so mehr überrascht, als man angenommen hatte, daß er eine Schlüsselrolle bei der Kehrtwende der Armee hin zu den Aufständischen gespielt hatte, durch die schließlich das Ende des Ceausescu-Regimes so schnell besiegelt war. An die Stelle Guses trat ein Offizier aus dem Reservekorps, General Ionel Stefan Wasil. Bei der Bekanntgabe der Absetzung Guses beschränkten sich die neuen Machthaber darauf anzugeben, der General habe sich einer „äußerst schwerwiegenden“ Verfehlung schuldig gemacht. Da dem nichts hinzugefügt wurde, fragt sich jeder, was denn nun General Guse konkret vorgeworfen worden ist.

Gleichzeitig hat die neue Führung dem verstorbenen Ex -Verteidigungsminister Wasil Milea posthum höchste Ehren erwiesen. Nach Darstellung des alten Regimes hat Milea Selbstmord begangen, nachdem er des Verrats überführt worden war. Tatsächlich soll er auf Anordnung Ceausescus (nach Gerüchten sogar von ihm selber) ermordet worden sein, weil er in Temesvar nicht den Befehl geben wollte, den Aufstand blutig niederzuschlagen.

Am Freitag wurde dem Toten eine außergewöhnliche Ehrung zuteil: In der Militärakademie fand eine nationale Trauerfeier statt, bei der Vertreter der neuen Staatsführung und vor allem auch der neue Verteidigungsminister General Militaru zugegen waren. Die Leiche von General Milea war in Galauniform auf einem Katafalk aufgebahrt. Der Trauerakt wurde im Fernsehen übertragen. Und in den offiziellen Reden wird aus dem Mann, „der sich geweigert hat, auf das Volk zu schießen“, bereits ein Nationalheld gemacht. Ganz offenbar hat die Armee in der Revolution den entscheidenden Umschwung herbeigeführt, als sie sich auf die Seite der Demonstranten stellte und auf die erbarmungslos in die Menge haltenden Securitate-Leute zurückschoß.

Die Armee war es, die ihn schließlich festnahm und mit ihm im wahrsten Sinne des Wortes kurzen Prozeß machte, also den Diktator und seine Frau in einem Schnellverfahren durch ein Militärsondergericht aburteilte und unverzüglich hinrichtete. Zuvor hatte dank der Armee der Fluchtversuch der Ceausescus im Hubschrauber ein schnelles Ende genommen. Das Luftwaffenkommando hatte dem Piloten Ceausescus befohlen, sogleich bei Titu (etwa 40 Kilometer nordwestlich von Bukarest) zu landen.

Jedem Politiker ist klar, daß das neue Regime dem Militär viel verdankt. Diese Tatsache drückt sich auch in der Zugehörigkeit von vier hohen Offizieren zum Rat der Front zur Nationalen Rettung aus, von denen General Viktor Stantulesku zugleich mit dem Wirtschaftsministerium ein Schlüsselressort besetzt.

Konflikte im Heer

Andererseits ist offenkundig geworden, daß innerhalb der Armee ernste Konflikte aufgebrochen sind. Zusammen mit Generalstabschef Guse sind auch andere höhere Offiziere von ihren Posten entbunden worden. Ihre Zahl wurde noch nicht beziffert. Umgekehrt wurde aber die Beförderung von neun Generälen und zwanzig Obersten zu Generälen bekanntgegeben. Bezeichnenderweise gehören diese 29 ranghohen Offiziere alle zum Verteidigungsministerium. Hingegen sind im Innenministerium, dem der ganze Polizei- und Sicherheitsapparat untersteht, nur vier Generäle und vier Oberste der Sicherheitsorgane befördert worden. Sie haben aber alle nichts mit der Securitate zu tun, der ehemals direkt unter Ceausescus Fuchtel stehenden Geheimpolizei.

Schließlich sind zehn Reservegeneräle wieder in den aktiven Dienst gestellt worden - eine Maßnahme, die dazu bestimmt zu sein scheint, innerhalb der offenbar uneinigen Militärhierarchie aufgerissene Lücken schnell wieder mit verläßlichen Leuten zu schließen, Schlüsselpositionen mit sicheren Männern zu besetzen, die für die Stabilität des neuen Regimes einstehen. Die Tatsache, daß man auf einen reaktivierten General zurückgreifen mußte, um die Führung des Generalstabs nach der Ablösung Guses neu zu besetzen, ist vielsagend. Sie verdeutlicht das Mißtrauen der Front zur Nationalen Rettung gegenüber gewissen noch im aktiven Dienst stehenden ranghohen Offizieren.

Michel Castex (afp)