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Kurzer Prozeß nach 33 Jahren

Der juristische Rehabilitationsversuch für Walter Janka  ■  Aus Ost-Berlin Klaus Hartung

Vergangenheitsbewältigung in Ost-Berlin, mit ein bißchen Trauer und zwiespältigen Gefühlen, zwiespältigen Aussagen, zwiespältigen Ritualen: Gestern begann vor dem Obersten Gericht der DDR das Kassationsverfahren des Urteils gegen Walter Janka, Gustav Just, Heinz Zöger und Richard Wolf aus dem Jahre 1957. Nach dem Ungarn-Aufstand wurden Janka, der berühmte Leiter des Aufbau-Verlages, und seine Mitangeklagten wegen staatsfeindlicher Tätigkeit, „Anschlägen gegen den Frieden und den Bestand des Staates“ verurteilt. Es war eine konstruierte Anklage und ein Schauprozeß. Janka wurde zu fünf Jahren verurteilt, wovon er vier Jahre in schlimmster Einzelhaft in Bautzen verbrachte.

Es sei „eine Rehabilitationssache von größtem öffentlichen Interesse“, betonte der Vizipräsident des Obersten Gerichtes vor etwa 100 stummen, fast ausdruckslosen Zuhörern. Deswegen seien Ton- und Bildaufnahmen ausnahmsweise erlaubt. Generalstaatsanwalt Harrland stellte sein Plädoyer unter dem Anspruch, „die dunklen Seiten der Geschichte aufzuarbeiten“, setzte aber gleich hinzu, es ließen sich nur die Folgen „mildern“: „Wir haben nicht die Zeit, genau zu analysieren.“ In der Tat. Der Staatsanwalt beschränkte sich darauf, die stalinistische Justiz zu schelten. Sie habe nicht einmal den „Versuch einer juristischen Subsumtion“ unternommen, habe ihre eigenen Begründungen mißachtet.

Den Angeklagten von damals wurde 33 Jahre später eine politische Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgestellt: Sie hätten nicht einmal ein Mehrparteiensystem gefordert, hätten den „antifaschistischen Block“ festigen wollen, hätten nur den Führungsanspruch der SED kritisiert. Walter Janka, der KZ-Häftling, der Spanienkämpfer. Ein Plädoyer für Freispruch und Entschädigung. „Zwiespältige Gefühle“ gestand der damalige Verteidiger Dr. Wolf: Was wäre aus der Republik geworden, wenn solche Menschen eine Rolle hätten spielen können. „33 Jahre sind ein zu langer Zeitraum. Das ist nicht wiedergutzumachen.“

Seltsam mutlos bemühten sich die Beteiligten, eine Unrechtsgeschichte rechtsstaatlich abzuschließen. Wolf postulierte gar, es sei „ein Ende einer Epoche der deutschen Rechtsgeschichte, deren Anfang noch zu suchen ist.“ Er beginne wohl noch vor 1933, beginne mit dem Vorrang der Politik gegenüber dem Recht.

Gesagt und sich gleich widersprochen: Der Rechtsanwalt beschrieb, daß diese Geschichte noch andauert. Wie 1957 muß auch noch heute die Verteidigung mit der Hand die Akten abschreiben, erhält die Anklageschrift zu spät, werde der Prozeß auf Kosten der Verteidigung beschleunigt. Auch könne nicht einmal der Betroffene, sondern nur der Generalstaatsanwalt die Kassation beantragen.

Kein Zweifel, daß am Freitag die Kassation entschieden wird. Aber Rehabilitierung? Keiner der Beteiligten nahm das Wort „Schauprozeß“ in den Mund, erwähnte, wie 1957 die zusammengetrommelte DDR-Intelligenz von Anna Seghers bis Helene Weigel sich demütigen ließ. Die damals Verurteilten waren nicht anwesend. Die Zuhörer verschwanden lautlos.

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