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In der neuen Trockenzeit wird erbittert gekämpft werden

■ Kambodscha steht vor einer neuen Offensive der Guerilla / Dieses Mal sei es eine „Schlacht um die Herzen und die Gesinnung der Leute“, so die Hun Sen-Regierung / Die Bevölkerung leidet unter Minen und Überfällen / Selbst diplomatische Erfolge kämen jetzt zu spät, um die hohen Opfer unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden

Nicht nur die Intensivierung der Kampfhandlungen dürfte für die Verschärfung der Ausgangssperre in Phnom Penh ausschlaggebend sein. Auch psychologische Gründe werden eine Rolle gespielt haben, wenn heute das Nachtleben für die Phnom Penher Jugend wieder um 21 Uhr endet. Seit letztem Frühjahr hatten sich die jungen Diskogänger der Hauptstadt nur beiläufig um die Bedrohung durch die Roten Khmer gekümmert. Das ist jetzt vorbei: Die Städter sollen nicht nach westlicher Musik bis in die Morgenstunden tanzen dürfen, während die Soldaten in den Kriegsgebieten gegen die Roten Khmer kämpfen müssen. Durch die vorgebliche Gleichschaltung der Lebensbedingungen hofft man die Soldaten in den umkämpften Gebieten bei Moral zu halten.

Tatsächlich ist selbst Phnom Penh vor Guerilla-Attacken nicht mehr sicher. Kurz vor der Ausgangssperre explodierten Ende November drei Granaten an strategisch zentralen Punkten, vor dem Verteidigungsministerium, der Ministerversammlung und dem NationalMonument. Soldaten reagierten panisch und ballerten wild in die Luft. Als in der folgenden Nacht erheblich mehr Militärs in den Straßen patrouillierten, schien die Nervosität gebannt. Vier Verdächtige will die Hun-Sen-Regierung in Gewahrsam genommen haben. Die kambodschanische Regierung behauptet zwar, die Sicherheitslage im Griff zu haben, doch die bleibt äußerst fragil. Insbesondere in den Schlüsselprovinzen im Einflußbereich Phnom Penhs vermochte man die Hit-and-run -Attacken der Roten Khmer zwar zu stoppen. Die Zahl der Entführungen hat allerdings seit dem Abzug der Vietnamesen zugenommen, ebenso die Zahl der zivilen Minenopfer - im letzten Quartal des Jahres '89 um 25 Prozent. Dem 50jährigen Waldarbeiter Suay Choen hat es den Fuß weggefetzt. „Die Roten Khmer haben die Mine in die Nähe unserer Haustüre gelegt“, sagt seine Frau, „denn wir wohnen neben den Militärbarracken.“ Viele der Opfer seien Kinder, die beim Schulgang auf Minen entlang der Provinz- und Dorfstraßen treten, erklärt der örtliche Arzt. In den abgelegeneren Gebieten sollen 20 bis 30 Mann starke Banden allwöchentlich kleine Ortschaften angegriffen, die Polizei und Dorfvorsteher getötet und sich vor dem Eintreffen der Phnom Penher Truppen wieder ins nächtliche Dunkel zurückgezogen haben.

Aber trotz aller Beteuerungen der Koalition, ihr seien im Westen des Landes Gebietsgewinne geglückt, konnte sich Hun Sens Armee, von Pailin einmal abgesehen, bislang erfolgreich gegen die Guerilla-Attacken behaupten. Und selbst den Verlust von Pailin wollte Kambodschas Verteidigungsminister zu einer strategischen Finte umdeuten. Militärische Quellen in Phnom Penh mußten indes zugeben, daß Pailins Verteidigung vor dem konzertierten Angriff der Roten Khmer zusammenbrach. Die gerade erst rekrutierten, sehr jungen Soldaten wären auf die Schlacht nur unzureichend vorbereitet gewesen.

Eine Zone für Hun Sen

Seit dem Fall von Pailin hat Hun Sen seine Verteidigungskräfte umstrukturiert. Es sind Schlüsselmitglieder des Kabinetts, die heute persönlich die Sicherheit des Landes kontrollieren. Das Land ist nun in fünf Militärzonen unterteilt, denen je ein Regierungsmitglied vorsteht. Auch Hun Sen hat eine Zone übernommen. Allerdings war er meist unterwegs, um die politische und militärische Strategie der Regierung zu erläutern und die Truppen, insbesondere aber die Bürgerwehren, moralisch aufzubauen. Nach Battambang, das die Koalition mehrfach zu ihrem strategischen Angriffsziel erklärt hatte, wurde der Verteidigungsminister höchpersönlich nebst einer Elitetruppe entsandt. Abgesehen von Pailin kontrolliert die Guerilla keine der kleineren Ortschaften mehr, die sie im vergangenen Jahr überrollt hatte.

In Pailin, wo 2.000 thailändische Edelsteinschürfer von den Roten Khmer eine Lizenz erhalten haben, ist die Situation komplizierter. Bis zu 10.000 Dollar haben die thailändischen Vertragspartner bezahlt. Nicht zuletzt ihre Präsenz läßt Hun Sen in dieser Region zögern, eine Gegenoffensive anzustrengen.

Schlacht um die Herzen

„Im Augenblick kümmern uns nicht um Gebietsgewinne, gegenwärtig führen wir eine Schlacht um die Herzen und die Gesinnung der Leute“, sagt ein enger Berater Hun Sens. Die Phnom Penher Führung weiß, daß ohne politische Lösung ein Ende des Bürgerkriegs nicht absehbar ist, die Zahl der Opfer steigt und die dringend notwendigen Entwicklungsprojekte verhindert werden. Obwohl die kambodschanische Führung zuversichtlich ist, den Krieg gegen die Roten Khmer auf die Dauer gewinnen zu können, sind sie nicht daran interessiert, den blutigen Konflikt noch lange auszutragen. Selbst die vietnamesischen Militärberater sind überzeugt, daß die Roten Khmer heute militärisch besiegt werden könnten, obwohl sie während ihrer zehnjährigen Besetzung dazu nicht in der Lage waren. „Es dürfte aber noch drei Trockenzeiten dauern“, schätzt General Tran Cong Man, Herausgeber der Zeitung des vietnamesischen Militärs. Das hieße drei weitere Jahre schwerer Verwundungen. Bui Tin, dem Herausgeber der vietnamesischen Parteizeitung 'Nhan Dan‘, zufolge, haben die Vietnamesen während des zehnjährigen Kampfes 120.000 Menschen, viele durch Malaria, verloren.

Nun, mitten in der neuerlichen Trockenperiode, sammeln die KambodschanerInnen ihre Kräfte für noch intensivere Guerilla -Aktivitäte, da die Roten Khmer und ihre Alliierten ihren Anspruch auf die legitime Führung des Landes zu rechtfertigen suchen. „Die Kampfhandlungen der Trockenperiode 1989/90 werden zur größten Schlacht auf militärischem, politischem und diplomatischem Feld“, kommentierte Radio Phnom Penh vor kurzem. Selbst wenn die gegenwärtigen diplomatischen Initiativen erfolgreich verlaufen, kommen sie zu spät, um schwere Opfer der Bevölkerung zu vermeiden.

Larry Jagan

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