: Bismarcks Haare ohne Echtheitszertifikat
■ taz-Serie zum Kennenlernen von Ost-Berlin / Dritter Teil: Friseurmuseum in der Husemannstraße
„Verbreitung des halbrunden Rasiermessers der vorrömischen Eisenzeit“ - damit beginnt der Rundgang durch das Friseurmuseum in Ost-Berlin. Doch obwohl die verstaubte Sprache Langeweile vermuten läßt, ist die kleine Ausstellung in der Husemannstraße am Prenzlauer Berg eine Fundgrube auch für Museumsmuffel.
Nicht nur Haarkämme und Scheren gibt es zu sehen. Denn Friseure waren früher nicht einfach nur Friseure, sondern auch Gesundheitspfleger, Kosmetiker und Chirurgen. Furchterregende Klistierspritzen und Schröpfköpfe zeugen von den erlittenen Qualen unserer Vorfahren. Sogar Zähneziehen durften manche Friseure: 1896 kostete diese Operation pro Backenzahn 75 Pfennig.
Die Geräte zum Frisieren sehen nicht unbedingt harmloser aus als die zum Operieren. Mit den eisernen Brenneisen ist sicherlich auch so manches Ohr angesengt worden. Eine altertümliche Trockenhaube erinnert stark an einen Ritterhelm. Harmlos dagegen, aber um so hübscher die ungezählten Töpfchen und Tiegel, Schalen und Döschen aus allen Epochen, die für das Friseurhandwerk vergangener Zeiten typisch waren.
Zwei komplette Frisiersalons sind im Museum aufgebaut. Im Berliner Exemplar aus der Gründerzeit warnt ein Schild: „Für Verwechseln von Garderobe komme ich nicht auf“. Auf dem Fußboden ein Spucknapf, an der Wand ein Parfümautomat, der vier verschiedene Sorten „aussprüht“.
In einer Vitrine dann Fürst Bismarcks Haare (ohne Echtheitszertifikat) neben einer eiförmigen Flohfalle aus dem 18. Jahrhundert, deren Funktionsweise schleierhaft bleibt. Mit dem Kleinen Friseur können wir in einer Bildergeschichte den Zorn seines Vaters erleben, der kein Verständnis für seinen Sohn aufbringt, der Katzen, Schweine und Hühner rasiert. Napoleon als Zinnfigur beim Rasieren, der Originalkamm für Glatzköpfe, Anzeigen aus alten Zeitungen für Detektivbärte und „Preservatifs, Fischblasen“, mühevoll aus Haaren herge stellter Schmuck - das haarige Thema ist schier unerschöpf lich.
Die vielen Ausstellungsstücke sind in 30 Jahren von einem Liebhaber zusammengesammelt worden. Eröffnet wurde das Museum 1987 von der Einkaufs- und Liefergenossenschaft des Berliner Friseurhandwerks, also unter privater Trägerschaft. Seit drei Jahren warten die Betreiber auf die Genehmigung zusätzlicher Planstellen zu der einen vorhandenen.
Bis die Stadtverwaltung bereit ist, diese nichtstaatliche Einrichtung zu unterstützen, wird es bei folgenden, arbeitnehmerunfreundlichen Öffnungszeiten bleiben: montags und mittwochs, jeweils von 10 bis 12 und von 13 bis 17 Uhr. Für montags und donnerstags kann telefonisch eine Führung vereinbart werden. Die Telefonnummer: 0372/4495380. Zu finden ist das Museum in der Husemannstraße 8, Prenzlauer Berg.
Als günstiges, weil schnelles Verkehrsmittel empfiehlt sich die U-Bahn Richtung Pankow, Bahnhof Dimitroffstraße. In der Husemannstraße folgt auf die Trostlosigkeit verfallener Mietshäuser der Glanz eines der Vorzeigegebiete der 750-Jahr -Feier in Berlin (Ost): ein völlig restaurierter Straßenabschnitt mit kleinen Handwerksbetrieben und Kneipen, wo auch das Friseurmuseum untergebracht ist.
Katja Niedzwezky
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