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Die Wahlen werden verschoben

Interview mit dem Schriftsteller und Philosophen Andrei Plesu, Kulturminister der provisorischen Regierung in Rumänien  ■ I N T E R V I E W

taz: Herr Plesu, die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung gehörte der Ceausescu-Partei an, fast vier Millionen Menschen. In Deutschland gibt es den Begriff der „Vergangenheitsbewältigung“. Wie steht es in Rumänien damit, vor allem im Kulturleben?

Andrei Plesu: Es ist sehr schwer, eine Lösung zu finden. Wir brauchen eine Mischung aus Recht und Toleranz. Wer im Bereich der Kultur keinen Charakter hat, wer die Moral verlor, wer benutzbar war, und das waren viele, wird natürlich in Zukunft kaum noch im Kulturleben eine Rolle spielen. Aber das Problem ist nicht dadurch zu lösen, daß man einige Leute an den Pranger stellt. Wir haben uns alle schuldig gemacht. Jeder hat für sich einen Kompromiß gesucht.

Welche Konsequenzen ziehen Sie jetzt daraus?

Wir können nicht in zwei Tagen alle Mechanismen ändern, und wir können nicht alle Leute austauschen. Hier im Ministerium sitzen im wesentlichen auch noch die alten Leute. Noch kann ich auf sie nicht verzichten. Wichtig ist es, jetzt die Verantwortlichkeiten neu zu verteilen und diesen Leuten ihren Einfluß zu entziehen. Ich denke auch, daß alle in den entscheidenden Positionen bald ausgetauscht werden. Theaterdirektoren, der Chef der Oper, wichtige Posten werden bald neu besetzt.

Gilt das auch für andere Institutionen? Die Securitate gibt es ja noch immer. Sie ist zwar jetzt dem Militär unterstellt. Es handelt sich aber doch auch dort noch um die gleichen Leute.

Es gibt auch die Polizei. Wie die Posten da neu besetzt werden und was mit dem alten Personal geschieht, ist noch nicht klar. Ich will ihnen ein kleines Erlebnis erzählen. Der jahrelang vermutlich nur für mich zuständige Securitatebeamte ist noch da. Früher tat er immer so, als wolle er mich vor Schlimmerem bewahren. Ich kannte ihn gut. Dieser Mann hat erst vor sechs Monaten - das war das letzte Mal in der Ceausescu-Zeit - mit mir gesprochen. Eines Tages, sagte er, werden Sie erkennen, daß wir recht hatten, daß wir nur das Beste für das Volk wollen. Jetzt, vor ein paar Tagen, kam er auch in mein Büro - nach Anmeldung selbstverständlich. Er ist immer noch für mich zuständig, aber jetzt als Beschützer vor der Konterrevolution. Ich sagte: „Sie haben doch damals erklärt, Sie hätten recht.“ „Das ist jetzt nicht so wichtig, Sie haben recht und wir haben geirrt“, antwortete er. So schnell können Menschen die Seite wechseln.

Die Securitate funktioniert also noch, was macht da die Regierung?

Ja. Wir dürfen nichts überstürzen.

Reformen kosten Geld. Wie steht es damit?

Der Kulturhaushalt ist fast verdoppelt worden. Das ist ein Anfang.

Sie haben einmal geschrieben, der „heutige Kulturschaffende ist nicht mehr existent“. Was halten Sie jetzt davon?

Als ich diesen Satz schrieb, bezog ich mich auf das offizielle Kulturleben. Aber es gab viele Künstler, die sich nicht völlig einspannen ließen. Sie waren im Volk beliebt. Von denen, die sich kompromittiert haben, wollte mancher nur Privilegien. Für andere waren die Huldigungen an den Diktator reine Routine, die einfach dazu gehörte. Doch es gab auch viel Kompromißbereitschaft, die nicht mehr zu verstehen ist. Es gab Leute, die in einem Artikel über Ceausescu ihr Talent, ihre Kraft und ihre Phantasie für die Huldigungen einsetzten. Das ist eine große Schande.

Kulturell sind die Jahre der kommunistischen Herrschaft wenig fruchtbar gewesen. Jetzt wird das politische, soziale und historische Denken sich mit all dem ausführlich beschäftigen müssen, damit niemals mehr derartiges entstehen kann.

Die neue Regierung ist dem Rat der Front zur Nationalen Rettung eng verbunden. Dabei fallen doch wieder einmal Exekutive und Legislative zusammen. Das ist doch keine Demokratie.

Heute kontrollieren mich meine Freunde, denn sie sind im Rat. Aber diese Konstellation wird zum Problem, wenn die Personen wechseln. Es ging alles so schnell, die Zusammensetzung der Führung war zufällig, die kam doch auf Anruf zustande. Man hat die Leute einfach gefragt, die in diesen hektischen Stunden (im Rundfunkgebäude unter dem Feuer der Securitatetruppen, die Red.) verfügbar waren. Die Bildung der Front war also nicht demokratisch. Aber wir wollen Legislative und Exekutive trennen. Auch die Wahlen sind zu früh angesetzt. Sie können ruhig schreiben, was wir in den nächsten Tagen offiziell erklären werden: Die Wahlen werden wohl auf Mai oder Juni verschoben.

Interview: Erich Rathfelder

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