: Genscher: DDR darf EG-Mitglied werden
■ Die EG-Aufnahmesperre gilt nicht für das andere Deutschland, erklärte der Bundesaußenminister / Nach freien Wahlen stehen der DDR verschiedene Optionen fürs Mitmachen offen / Seit Jahrzehnten genießt der ostdeutsche Nachbar einen Sonderstatus - BRD sei Dank
Bonn (ap) - Die Sperre für die Behandlung neuer Aufnahmeanträge an die Europäische Gemeinschaft, die bis 1993 verhängt wurde, gilt nicht für die DDR. Das berichtete Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher am Freitag vor Journalisten in Bonn. Er berief sich dabei auf den Präsidenten der EG-Kommission, Jacques Delors.
Laut Genscher eröffnet der Sonderstatus, den die DDR auf Bonner Betreiben im Verhältnis zur EG seit Jahrzehnten genießt, nach den freien Wahlen am 6.Mai Perspektiven bis hin zur Mitgliedschaft in der Gemeinschaft. Prinzipiell stünden der DDR drei Formen der Annäherung an die EG offen:
-Die Assoziierung bis hin zum politischen Dialog im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ), wie es von Ministerpräsident Hans Modrow bereits in seinem Aide Memoire an die Kommission vorgeschlagen worden sei,
-die Mitgliedschaft in der EG als eigenständiger Staat, sowie
-die Mitgliedschaft im Zuge der Entwicklung zur deutschen Einheit.
Für alle drei Formen sei die EG offen. Sie könnten als Alternativen, aber auch als aufeinanderfolgende Stufen gesehen werden, betonte Genscher. Die DDR müsse entscheiden, welchen Weg sie gehen wolle.
Genscher wies darauf hin, daß die Außenminister der EG bei einem Sondertreffen am 20. Januar in Dublin über die künftige Zusammenarbeit der Gemeinschaft mit den Reformstaaten Osteuropas beraten werden. Dabei werde es auch um das künftige Verhältnis zur DDR gehen.
Genscher nannte als Rahmen für die Fortsetzung der Politik der Annäherung beider deutscher Staaten und für die Schaffung einer Vertragsgemeinschaft: Eine Verstärkung des KSZE-Prozesses als Grundlage für eine europäische Friedensordnung vom Atlantik bis zum Ural, eine Fortsetzung des Integrationsprozesses der EG, die sich ihrer Verantwortung für ganz Europa bewußt werden müsse, die Fortsetzung von Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie die konsequente Nutzung des deutsch-sowjetischen Verhältnisses.
Mit Nachdruck trat Genscher für ein gründlich vorbereitetes Sondergipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der 35 KSZE-Staaten in diesem Jahr ein. Dieser Gipfel könnte den Rahmen bilden für die Unterzeichnung des ersten von den 23 Staaten der Nato und des Warschauer Pakts in Wien ausgehandelten Abkommens über die Abrüstung konventioneller Waffen und Truppen. Zugleich müsse er das Mandat erteilen für unmittelbar anschließende Verhandlungen über ein zweites Abkommen dieser Art, das die Reduzierung nicht nur der stationierten, sondern auch der einheimischen Truppen umfassen müsse.
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