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MAUS BLEIBT LEBEN

■ Auf der „Protokoll-Strecke“ im Ost-Berliner „Treibhaus“: Bettina Wegner; Klaus Staeck & die SED

Eine Woche lang hatte man wie angekündigt „Blicke hinter die Kulissen des realsozialistischen Kulturbetriebs“ geworfen. Am achten Tag gönnte man sich zwei Unterhaltungskünstler: In die Zielgerade der vom Verband Bildender Künstler Berlin/DDR organisierten „Protokollstrecke“ im „Treibhaus“ unter dem Fernsehturm liefen am Samstag die politischen Langstreckenläufer Bettina Wegner und Klaus Staeck ein. Beide einst im Osten „Kind gewesen“, im Westen so dauerwurstengagiert wie gemieden, durften sie auf Muttererde wieder mal die reine Luft ehrlicher Verehrung und exotischer Neugier atmen; ihren Westen aufklären und ihren Osten aufarbeiten. Die eine erschien wie erwartet als Märtyrerin für die Namenlosen, meisterhaft frühkindliche Tragik und alternatives Biedermeier verbindend, der andere als Hofprediger für die „freie“ (Staeck) Kunst, als Fachmann für Selbstvermarktung, proportional erfolgreich zum Ökogau.

Viel Volk fand sich denn auch zusammen im Kreisrund des „Treibhaus“ und verbreitete - mit Stirnband und Kleinkind, langhaarig und -bärtig - Bewegungsnostalgie der Siebziger. Statt der Schmuckstände aus Taiwan Echt-Ost-Transparente, knapp drei Monate alt und schon historisches Dokument, die ganze Spannweite von „Trauer um unsere chinesischen Kommilitonen“ bis „Für freie Waldorfschulen“. Das politische Forum war allerdings nur gemietet: Am nächsten Wochenende veranstaltet der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund hier eine Ausstellung über Volkskunde.

Bettina Wegner sah mit ihren inzwischen wieder langen Strähnen aus wie ihre eigene Parodie aus dem Kabarett „Zweidrittel“, hatte aber, in richtiger Einschätzung ihrer wahren Qualitäten, versprechen müssen, „ohne Gitarre zu kommen“. Folglich durfte sie weit hinter die Künstlerin auf die nackte Aussteigerbiographie zurücktreten, als ein dünnes beharrliches Ausrufezeichen, ein sprechendes leicht angestaubtes Button. „Ich erinnere“, fingen alle Sätze Jutta Brabants (Verband Bildender Künstler) an, die Bettina Wegner als Zeit-Zeugin für prähistorischen Widerstand gegen SED -Kulturpolitik präsentierten.

Von den Anfängen, den Vorgänger des heutigen „Oktoberclubs“ zu einem öffentlichen Forum zu machen, ging es über differenzierte Vereinnahmungs-, Stör- und Zensurmanöver der Aktionen der Wegner und ihrer Freunde von Seiten der FDJ und Bezirkskulturpolitikern bis hin zur völligen Behinderung der Auftrittsmöglichkeiten und dem aufgenötigten „Auszug“ aus der DDR. Schon 1980 trauten ihr viele den ständigen Westwohnsitz zu, obwohl sie erst 1983 im Westen arbeitete und lebte. „Viele haben sich verraten gefühlt, als ich in den Westen ging. Aber keiner kannte die Geschichte, wie man mit mir umgegangen war. Für mich ist keiner auf die Straße gegangen“, trotzdem doch Jutta Brabant von Wegners Auszug als einem „bösen Kapitel“ spricht, das gleich nach Biermann komme. Das Publikum schweigt undurchsichtig, wird erst lebhaft als es um die weniger bekannten Widerstandsbiographien geht.

„Man hat mich ungleich gemacht“, beklagt sich die Wegner. Eine Flugblattaktion gegen den Einmarsch der CSSR 1968 brachte ihr eine Woche Untersuchungshaft und anderthalb Jahre „Bewährung“ in der Produktion - einer Relaisfabrik. Andere traf es ungleich härter. Der damalige Clubleiter Werner Pietz ist immer noch in der „Produktion“ abgestellt, wird aus dem Publikum ergänzt. Der dafür Verantwortliche ist befördert worden - zum Bezirksrat für Kultur in Weißensee „die mittlere Ebene des Apparats hat sich voll erhalten“. Mitglieder des Publikumsbeirates des Wegner-Clubs wurden wegen „staatsfeindlicher Hetze“ oder „Weitergabe eines Prospektes von Trotzki“ zu zwei bis vier Jahren verurteilt, als sie gegen die Diffamierung Pfarrer Brösewitz protestierten, der sich 1976 öffentlich verbrannte. Einer von ihnen, Reinhard Langenau, erlitt im Knast einen schizophrenen Schub und wurde in den Westen abgeschoben. Sein Einreiseverbot in die DDR verkraftete er nie, warf sich vor drei Jahren in Hamburg vor den Zug.

Im Saal und auf dem Podium wird gefordert, Komitees zu bilden zur Sammlung und Aufklärung solcher Fälle. Dabei kommt ein weiterer Skandal heraus. Soeben sind im Untersuchungsausschuß zur Aufklärung der Vorfälle am 7. und 8. Oktober, der Knüppelorgien an der Gethsemanekirche, mehr als die Hälfte der Verfahren „wegen Geringfügigkeit“ vom Staatsanwalt niedergeschlagen worden. In einer Resolution, die am Ende verlesen und zum Unterschreiben ausgelegt wurde, wird der Ausschuß zur Rücknahme dieser Entscheidung aufgefordert. Weitere Hauptforderungen sind: die sofortige Rehabilitierung der über 1.000 Zugeführten und ihre Entschädigung sowie öffentliche gerichtliche Verfahren anstelle verschleiernder Disziplinarstrafen.

Bettina Wegner rechnete sich das konkrete Ergebnis der Zusammenkunft an: „Ich bin ganz stolz. Das hab ich noch nie mit einem Konzert erreicht“. Und am Ende der Zeugenschaft kommt doch noch ein bißchen Starrummel auf. Wann trittst du endlich wieder hier auf, bist du inzwischen „richtig“ BRD -Bürger oder innerlich noch DDRler, ziehst du wieder her. Letzteres wird als „unredliche“, da private Frage abgeschmettert, der Rest dient der Theatralik. „Ich bin völlig durcheinander, nicht mehr hier, nicht im Westen.“ Bis September hat sie sich aus Krankheitsgründen eine Arbeitspause verordnet, und ist inzwischen glücklich darob. Als Liedermacher müßte man zur jetzigen Situation was sagen. Aber sie könne momentan nicht schreiben. „Als ich im Krankenhaus war und sah, was in der DDR los ist, war ich froh, daß ich krank bin.“

Gesund wie ein Springteufel gab sich dagegen eine Stunde später der Meister kritischer Waschzettel, Klaus Staeck, ja verbreitete geradezu aufdringliche Zuversicht. Auch sein Gesprächspartner Klaus Werner bemühte sich um, wie er enthüllt, von Staeck angeordnete Heiterkeit, stellte „dem Antwortgeber“ „notgedrungen“ ein paar Fragen, zum Beispiel, ob Staeck, der doch früher „die DDR immer“ - nicht mit seiner Präsenz aber mit Kritik - „verschont habe“, zuhause nicht mehr so ganz glücklich sei, da er so oft in der DDR herumspringe. Staeck konterte mit seinem Geburtsort Bitterfeld, „eine der schönsten Städte der Republik“. Am 2. April will er im Bitterfelder Kreismuseum die eigene Ausstellung eröffnen mit einer ökologischen Aktion „Bäume für Bitterfeld“. Ein Delegierter der SDP, der sich als Bitterfelder Politiker herausstellt, bittet um ein eigens für Bitterfeld herzustellendes Plakat, obwohl Staeck, wie man weiß, „nie“ Aufträge annimmt. Staeck ist überhaupt im Allgemeinen, wie man jeden Augenblick hören kann, sehr konsequent: „Ich habe gelernt, mich täglich zu wehren! Ich habe immer Leute gesucht, die meine Sachen umsetzen (weshalb er in SPD und Krankenkasse am gleichen Tag eingetreten ist)! Ich war nie ein 68er!“ Dann kommt die DDR-Fangfrage: „Dienst du dieser Partei?“ Das hoffe ich, meint Staeck, und ist endlich beim Thema, dem wahren parlamentarischen Demokratismus nach BRD-Vorbild, der „jeden Tag neu erkämpft“, aber auch geschützt werden müsse: „Es gibt auch in der Demokratie Dinge“, belehrt Staeck die DDR, „die man verbieten muß“, zum Beispiel Bei-Rot-über-die-Ampel oder Schönhuber. Vereinzelte unqualifizierte Kritik („Red‘ doch kein Scheiß“, ein verirrter Österreicher) oder ein schwer vom BRD-System enttäuschter Amerikaner, der gerade in der DDR Asyl gesucht hat, nachdem er erst eine Republikanerversammung, dann eine Mahnwache konsumierte, all diese Publikumsbeteiligung kann Staeck in seinem Bekehrungsdrang der demokratielosen Heiden nicht aufhalten. Am Ende gibt's noch ein Zuckerl für das schlichte Gemüt (das hier vermutet wird? „DDR-Leute reden langsamer, nicht weil sie langsamer denken, sondern grundsätzlicher!“): Im Systemvergleich zweier Mausefallen, goldener West-Käfig gegen nicht-funktionierendes DDR-Erzeugnis Marke „Schnapp“ schneidet die DDR-Guillotine besser ab: „Die Maus bleibt leben“. Es gäbe allerdings verriet einer aus dem Publikum, auch funktionierende Mausefallen. Nichts für Staeck, ein neuer Auftritt bei den Sozis wartet schon, Souvenirs hat er keine dabei, sind für das nächste Mal reserviert. Staeck steht schon mitten im Wahlkampf, klar. Von selbstauferlegtem Arbeitsverbot ist hier nicht die Rede. Bitterfeld ist Ausgangspunkt einer großangelegten Ostfeldzugs.

DoRoh

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