piwik no script img

Wohin kocht der Reis über?

■ Beim Thai-Pongal, dem höchsten tamilischen Fest, gilt überkochender Reis als Omen für eine gute Ernte / In Berlin wird das Traditionsfest mit Disko kombiniert

Am Montag feierten Tamilen in Berlin ihr Thai-Pongal -Fest, das in Sri Lanka und Südindien als Höhepunkt des Jahres gilt: für tamilische Flüchtlinge in Berlin ein besonderer Anlaß, sich tamilischer Bräuche und einer gemeinsamen Identität zu erinnern. Die Familien, in denen während des Jahres jemand gestorben ist, nehmen an dem Pongal-Fest nicht teil. Zu Hause, erzählt ein Tamile, habe er das Fest zuletzt als Kind erlebt. Denn in seiner Familie sei es schon seit Anfang der siebziger Jahre nicht mehr durchgeführt worden, weil immer jemand gestorben sei. An vieles erinnere er sich deshalb kaum noch.

Das Fest findet nach dem tamilischen Kalender am ersten Tag des MonatsThai statt (15. Januar). Er markiert den Beginn der Erntezeit, einer Phase warmen und windigen Klimas, das alles blühen und ergrünen läßt. Die Vorbereitungen beginnen noch vor Sonnenaufgang mit dem Säubern und Schmücken des Hofes. Anschließend wird im Hof eine offene Feuerstelle eingerichtet. In einem bemalten Tontopf wird der erste Reis der neuen Ernte gekocht. Mit Spannung wird das Überkochen erwartet, denn je nach dem in welche Himmelsrichtung der Reis überläuft, gilt dies als gutes bzw. schlechtes Omen für die Ernte. (Und natürlich kocht der Reis fast immer an der gewünschten Stelle über.)

Die kleine Gruppe der Telugu-sprechenden Inder, die Pongal einen Tag früher als die Tamilen feiern, traf sich bereits am Samstag zu einem Essen. Am Sonntag lud dann „Das Tamilische Kultur-Zentrum“ zum 16. Thai-Pongal. Es wurden Tänze aufgeführt, meist klassischer Bharata Natyam. Viele der Tänzer und Tänzerinnen waren auffallend jung. Die 14jährige Mythili Myluaganam aus Sri Lanka hatte erst in Berlin vor vier Jahren damit begonnen, den schwierigen Tanz zu lernen, der in einem kostbaren Seidenkostüm und wertvollem Schmuck dargeboten wird. Immer wieder wurden tamilische Lieder gesungen und Gedichte vorgetragen. Dies fällt den Kindern, die häufig besser deutsch als tamilisch sprechen, nicht immer leicht.

Bei einem Pongal-Fest in Dahlem besprengte ein Tamile die Besucher mit heiligem Wasser. Eingerahmt von zwei Öllampen steht auf einem Tisch ein mit Wasser gefüllter Topf, auf dem Betelblätter und eine Kokosnuß plaziert wurden. Darunter liegen Bananen und ungeschälter Reis als Opfergaben. Nachdem sich die Besucher vor den religiösen Symbolen verneigt haben, wird ihnen ein Teller mit heiliger Asche, ein Töpfchen Sandelholzpaste und Kumkumpulver gereicht. Mit ihnen malen sie sich ein Zeichen auf die Stirn, an dem sie als Hindus zu erkennen sind. Doch ihr Verhältnis zum Hinduismus hat sich bei vielen nach Jahren in Berlin verändert. Nur wenige haben in ihren Zimmern eine Nische für die Götter reserviert, etwa für den beliebtesten unter ihnen, Pullaiyar, den Gott mit dem Elefantenkopf, oder für Murukan, der als Kind mit einer Lanze in der Linken dargestellt wird. Besonders bei tamilischen Jugendlichen ist das Verhältnis zur Religion und tamilischen Bräuchen distanziert.

Bei diesem Pongal-Fest finden gerade ihre veränderten Interessen Ausdruck. Denn die Veranstaltung wurde vom Lichterfelder Tamils Sport Club organisiert. Er ist nur einer von vier tamilischen Sportvereinen in Berlin, deren Mitglieder sich nicht nur für Fußball begeistern, sondern auch für Kricket oder den Fingerbillard Karrum (eine Art Nationalsport Sri Lankas). Während des Festes führten sie dem Publikum zwei moderne Disko-Tänze vor, die besonderen Applaus bekamen. Und neben klassischem indischen Tanz und Gesang, dem Rezitieren von Gedichten, spielt eine Musikgruppe bekannte Songs aus tamilischen Filmen. Der eigentliche Brauch des Festes, das traditionelle Reiskochen, wird in Berlin kaum durchgeführt. Statt dessen hat sich eine eigentümliche Mischung aus traditionellen und modernen Elementen, etwa dem klassischen indischen Tanz und Berliner Disko entwickelt, die typisch ist für die gegensätzlichen Einflüsse, mit denen sich tamilische Flüchtlinge bei uns zurechtfinden müssen.

Franz-Helmut Richter

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen