: Freundinnen der Nacht
■ Ein Abend im belladonna über lesbische Frauen in der Weimarer Republik
War es ein Heimspiel, der Vortrag Ilse Kokulas über die Subkultur homosexueller Frauen und Männer während der Weimarer Zeit, der die 60 kurzbeschopften Zuhörerinnen im Kulturhaus Belladonna glänzende Augen machen ließ? Jein, denn vor dem zweiten deutschen Krieg und Tscherno-Bophal war mindestens eines anders: die Subkultur war vergnüglicher. Und gerade weil früher alles so schön war, war der
Abend schön.
Die Bilder vom lebhaften Nachtleben in den zahlreichen, Bars, Vereinslokalen, Damenclubs und Cafes sind Stoff, aus dem die Träume sind. Viele der lesbischen Halbwelt-Nährböden waren in bürgerlichen Führern durch „das Berlin des Laster“ aufgeführt. Frau erfuhr staunend von Cognac-Polonaisen, vom Wäsche-Tanz Blasmusik und dem Hinterzimmer für Schnapslei
chen. Doch auch die vertrauten Endlos-Beziehungsgespräche gab's mit „Tränen am laufenden Band“. Das weiß Ilse Kokula von Hilde Radusch, heute an die neunzig Jahre, damals lesbische Telefonistin, Fräulein vom Amt und Kommunistin obendrein. Leute wie Claire Waldorff, Anita Berber, Charlotte Wolff, Valeska Gert, Irmgard Keun, Tilla Durieux und Käthe Kollwitz waren fest mit diesem kommunikativen Gefüge verwachsen.
Politisch manifestierte sich dies ganz anders als heute. Gegenüber 1.000er Auflage lokaler Frauenzeitungen heute standen damals allein in Berlin - Köln und Hamburg waren weitere Hochburgen - fünf Frauennzeitschriften. „Oft war es so, daß Neueinsteigerinnen sich eine der vielen schwulen Zeitungen am Kiosk kauften, um sich langsam an die lesbische Identität heranzurobben“, so Kokula. Und dies ist nach ihrer Meinung ein wesentlicher Unterschied zur getto-Szene heute: Die heutige schillert kaum, ist vom Einkommen, Bildung und Outfit konformer, aber sie verfügt über einen vergleichsweise hohen Status gesellschaftlicher Institutionalisierung.
Seit sechs Wochen leite Ilse Kokula das Referat für „Gleichgeschlechtlilche Lebensweisen“ im Berliner Senat. Ein weiterer schmerzlicher Unterschied: Die Unbekümmertheit ist historisch geworden. Der Machtkampf der Geschlechter wird heute nüchtern geführt.
Cornelia Gürttle
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