: 60.000 Registrierscheine in sechs Monaten
■ Bramsche: Größtes Aufnahmelager für Aussiedler / 3.000 Betten und 500 MitarbeiterInnen in einer ehemaligen Kaserne der Niederlande
Bramsche. Ein kleiner Ort in der Nähe von Osnabrück, nicht weit von der niederländischen Grenze. Seit Juni letzten Jahres ist hier ein Grenzdurchgangslager eingerichtet: In einem Kasernengelände, das die Niederländer im Sommer räumten. Die Betten dieses neuesten und bisher auch größten Lagers zur Aufnahme von Aussiedlern reichen für 3.000 Menschen.60.000 haben das Lager in Bramsche seit seiner Inbetriebnahme am 1.6.1989 mit einem Registrierschein in der Hand verlassen: Sie haben die erste Hürde auf dem Weg durch die Bürokratie im Kampf um ihre Anerkennung als deutsche Staatsbürger oder Volkszugehörige bereits geschafft.
Wieviele „Petenten“ Bramsche dagegen mit einer Aussetzung ihres Antrags verlassen haben, das wird mit keiner Statistik erfaßt. „Diese Zahlen schwanken sehr stark, weil sich z.B. auch die Struktur der Neuankömmlinge
von Tag zu Tag ändert“, berichtet Joachim Mrugalla, einer der beiden Leiter des Lagers. Formal ist Mrugalla als Mitarbeiter des Bundesverwaltungsamtes im Lager für den gesamten Bereich der Registrierung und Verteilung der Aussiedler zuständig. „An manchen Tagen nehmen wir zum Beispiel 300 oder mehr Rußland-Deutsche auf einmal auf, wenn wieder Charterflugzeuge mit Aussiedlern aus der Sowjetunion angekommen sind“, berichtet Mrugalla. Deren Ablehnungs-und Aussetzungsquote sei erfahrungsgemäß sehr niedrig. „An solchen Tagen ist die Zahl der Aussetzungen dann auch entsprechend gering“, erläutert der Lagerleiter. Die Rußland -Deutschen kämen in der Regel mit viel Gepäck und meistens eindeutiger Sachlage, da sie in der Sowjetunion bereits ein erstes Verfahren hinter sich haben.
Die lagerinterne Statistik verzeichnet Rußland-Deutsche und
Deutsche aus Polen im Verhältnis 40 : 60. Mrugalla: „Bei den Polen ist der Informationsfluß weitaus größer. Durch den liberalisierten Reiseverkehr waren sie zum Teil schon mehrmals in der Bundesrepublik und haben meistens bereits vorab gecheckt, welche Unterlagen sie brauchen und wohin sie sich wenden müssen.“ Deshalb steuern sie zumeist das bekannteste Aufnahmelager in Friedland
an, um einen Registrierschein zu bekommen. Viele der Polen haben bereits Verwandte in der Bundesrepublik, auf deren Anerkennungsverfahren und Dokumente sie sich berufen: „Das prüfen wir dann per Telefax im Eilverfahren bei den Kollegen nach“, berichtet der Beauftragte der Bundesregierung für die Verteilung der Aussiedler. In diesem Fall sind die nötigen Formalitäten rasch erle
digt und die Neuankömmlinge können weiterreisen, entweder zu ihren Verwandten oder gemäß ihrer Verteilungsanweisung ins entsprechende Bundesland. In den Vertriebenenbehörden vor Ort beginnt dann das eigentliche Anerkennungsverfahren: Dort erst werden die Angaben und Unterlagen genau geprüft.
Die Menschen bleiben in der Regel nur wenige Tage in dem
Durchgangslager. „500 bis 700 Neuzugänge haben wir pro Tag“, berichtet der Lagerleiter. „Wir mußten die Kapazitäten ausweiten und eine Halle umbauen, in der früher die Raketen gelagert wurden“, erläutert er. In Etagenbetten schlafen dort knapp 300 Menschen Bett an Bett. In einer Glaskabine sitzt die Hausmeisterin, „sie verteilt die Betten und ist auch Ansprechpartner für die Leute“, so Mrugalla. „Hier wollen wir die Leute wirklich nur eine Nacht halten. Dann kommen sie nach Möglichkeit in die kleineren Einheiten, in denen nur 12 bis 14 Leute untergebracht sind.“
Warteschlangen bestimmen trotzdem den Lageralltag - Vom Warten auf die Terminvergabe bei der Anmeldung, dem Warten auf den Sachbearbeiter bis hin zum Warten aufs Mittagessen in Schlangen, die bis auf den Hof reichen. Ein MitarbeiterInnenteam von 500 Leuten ist für Aufnahme, Beköstigung, Betreuung, Unterkunft der Aussiedler zuständig. DRK und die caritativen Einrichtungen, Krankenstation, Seelsorge durch Pfarrer beider Konfessionen - die Infrastruktur des Lagers geht bis hin zum DRK-Suchdienst, der nach dem Aufenthaltsort von Familienangehörigen forscht, und einer zweisprachigen Mitarbeiterin des Arbeitsamtes, für die Sicherung eventueller Ansprüche.
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