: STERBEN IN N.Y.
■ „Explosion des Schweigens“ von Allen Baron im Sputnik
Am Anfang ist das Nichts. Schwarze Leinwand. Dann ein kleiner weißer Punkt, der langsam größer wird. Das anwachsende Weiß auf der Leinwand ist das Ende eines Eisenbahntunnels. Dazu eine Stimme aus dem Off: Man kommt in Manhattan immer im Dunkeln an, egal zu welcher Tageszeit. Du kommst durch den Tunnel wie Abwasserkanäle, versteckt unter der Stadt. Aber das ist dir egal. Es immer so, egal welche Stadt. Du bist allein, aber das kümmert dich nicht. Du bist ein Einzelgänger, das ist gut so. Du warst immer ein Einzelgänger. Das ist dein Erkennungszeichen. So magst du es.„
Der Einzelgänger ist Frank Bono, und Frank Bono ist ein professioneller Killer. Ein Arbeitsauftrag führt ihn nach New York. Er soll einen Mann töten, der stets zwei Leibwächter um sich hat. Keine leichte Aufgabe, aber Frank Bono ist einer der Besten seines Berufszweiges. Er liefert tadellose Qualität. Wir sehen Bono bei den verschiedenen Arbeitsschritten: Beschatten des Zielobjekts, Beschaffen einer Pistole mit Schalldämpfer, Erkundung des Ortes, an dem er seine Arbeit zum Absch(l)uß bringen wird.
Schöne Gelegenheiten, mit der Kamera durch New York zu fahren. Regisseur Allen Baron ist in New York aufgewachsen und kann darum auf Skyline, Freiheitsstatue, Times Square und den ganzen Großstadtdschungel verzichten. Statt dessen menschenleere Straßen in der Morgendämmerung. Ganz weit hinten ein Mann, der sich auf die Kamera zu bewegt, bis er vor ihr steht. Oder eine Kamerafahrt an einem von Weihnachtsschaufenstern erleuchteten Bürgersteig entlang (20 Jahre vor Jim Jarmush). Auf dem Bürgersteig geschenkselige Familien, durch die sich der einsame Killer seinen Weg bahnen muß. Oder eine Fahrt auf der Staten Island Ferry, auf der sich nur zwei Menschen befinden: Frank Bono und sein Auftraggeber. Die berühmte und oft abgefilmte Skyline ist im trüben Dezemberdunst nicht mehr auszumachen. New York ist eine riesige Ansammlung von Tristesse. Noch bevor der Mietmörder beginnt, tödliche Fehler zu machen, zeigen Allen Barons Bilder von New York, daß hier für Frank Bono Endstation ist. Für immer.
Das Genre des Killerfilms verlangt es, daß der Pistolenmann keine Gefühlsregung zeigt. Hart und unnahbar muß er sein. Schwäche ist tödlich. Bisher hatte Frank Bono, der Fachmann für letzte Sinnfragen, alles unter Kontrolle, aber diesmal wird er auf dem falschen Fuß erwischt. Er wird weich. Als er in New York ankommt, ist es Weihnachten (er haßt Weihnachten: es macht sentimental und bringt lästige Arbeitsverzögerungen mit sich), und obwohl er weiß, daß es falsch ist, läßt er sich dazu hinreißen, die Einladung eines alten Bekannten zu einer Party anzunehmen. Eine alte Liebe, die er dort trifft, macht ihn noch weicher. Er redet von Heiraten, Familie und Häuschen kaufen: das ist sein Ende. Er begeht Unregelmäßigkeiten.
Ein persönlicher Haßausbruch gegen seinen Waffenlieferanten läßt ihn zur Axt greifen. Mord nicht als Arbeit, sondern als private Konfliktlösungsstrategie: Damit wird der erfahrene Mörder nicht fertig, er hat nichts mehr im Griff, er fühlt sich verunsichert und arbeitsunfähig. Schließlich ruft er bei seinen Auftraggebern an, um den Job zurückzugeben. Das ist Bonos Todesurteil. Er erledigt zwar seine Arbeit noch mit gelernter Routine, aber sein Lohn ist eine Kugel in den Rücken. Seine Arbeitgeber mustern den Untauglichen aus.
Als Explosion des Schweigens während der Filmfestspiele in Cannes 1962 uraufgeführt wird, werfen einige Kritiker dem Film vor, eine Kopie von Godards Außer Atem zu sein. Allen Barons Erwiderung darauf: „Who the hell is Godard.“ Godard war ihm gänzlich unbekannt. Im übrigen ist Explosion des Schweigens und Außer Atem einzig gemeinsam, daß beide Debütfilme sind, daß beide in Schwarzweiß gedreht sind und daß sowohl Godard als auch Baron viele Außenaufnahmen verwenden. Das sind aber auch so ziemlich alle Gemeinsamkeiten. Im Gegensatz zu Godard hat Baron dann allerdings keine weiteren großen Kinofilme mehr drehen können. Explosion des Schweigens (im Original: Blast of silence) ist sein einziger Spielfilm fürs Kino geblieben. Er produzierte ihn mit wenig Geld (eine weitere Gemeinsamkeit mit Godards Außer Atem) und spielte selbst die Hauptrolle. Am letzten Drehtag war schließlich auch der letzte Dollar ausgegeben, und Baron mußte Geldgeber auftreiben, die ihm mit 18.000 Dollar den Schnitt und die Vertonung finanzierten. Der fertige Film brachte den erhofften Kontakt zu Hollywood, doch die 20th Century Fox, die Baron unter Vertrag nahm, verheizte ihn für TV-Serien.
Explosion des Schweigens ist eine fast dokumentarisch anmutende Studie des einsamen Killers, die Baron produzierte, als Hollywood begann, den Gangsterfilm parodistisch und komödiantisch zu verbraten. Wäre es nicht so abgedroschen und geradezu nichtssagend, müßte Explosion des Schweigens zweifellos als „film noir“ bezeichnet werden. Alles ist voller Bitterkeit und Hoffnungslosigkeit, so daß noch nicht einmal mehr Zynismus aufkommen kann.
Frank Bono, der professionelle Killer, wird von seinen Auftraggebern in einer öden Gegend (grauer Himmel, Felder, Tümpel, armselige Hütten) bei der verabredeten Geldübergabe erschossen. Bono verreckt im Schlammufer eines Tümpels. Dazu die Stimme aus dem Off: Das ist es, Frankie Bono. Jetzt bist du allein. Ganz allein. Der Schrei ist verstummt, keine Schmerzen. Du bist nach Hause zurückgekommen. Zurück in die kalte, schwarze Stille. Wie zu Anfang ist am Ende das Nichts.
Volker Gunske
„Explosion des Schweigens“ ab heute im Sputnik Südstern, täglich um 23.45 Uhr.
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