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(ANTI-)HORROR

■ „Freaks“ und „The Devil Doll“ von Tod Browning im Notausgang

Seine Karriere hatte so hoffnungsvoll begonnen. Nachdem er als Schauspieler in Hollywood angefangen hatte, wechselte Tod Browning ins Regiefach und lernte zusammen mit Eric von Strohheim (der viel später beim Drehbuch von The Devil Doll mitarbeitete) bei David Mark Griffith. Beide waren Regieassistenten bei Griffiths Intolerance von 1916, dem ersten Monumentalfilm überhaupt. 1917 schließlich brachte er seine ersten drei eigenen Regiearbeiten heraus. Tod Brownings filmhistorisch größte Tat war Dracula von 1930, der Bela Lugosi zu erstem Ruhm verhalf und eine unglaubliche Welle von Kopien, Fortsetzungen und Neuverfilmungen des Stoffes von Bram Stoker auslöste. Seitdem ist der blutsaugende Untote aus dem Horror-Genre nicht mehr weg zu denken. Übrigens war Dracula erst die zweite Verfilmung von Stokers Stoff nach Friedrich Wilhelm Murnaus Nosferatu - eine Symphonie des Grauens.

Wie gesagt, alles hatte so hoffnungsvoll für Browning begonnen, wäre da nicht Freaks gewesen. Vor 1932 hatte er in 15 Jahren 41 Filme gedreht und auch den Beginn der Tonfilmära unbeschadet überstanden. Nach Freaks drehte er bis 1937 gerade mal noch einen Film pro Jahr und zog sich 1939 schließlich ganz aus Hollywood zurück.

Freaks war ganz und gar kein normaler Horror-Film. Die Monster, die Mißgeburten des kleinen Zirkus, der den Handlungsort darstellt, sind die positiven Helden, während sich die körperlich Normalen als die wahren Monster entpuppen. Freaks war mehr ein Plädoyer für Humanität als ein Schocker im üblichen Sinne. Seine Wirkung bestand darin, die immanenten Vorurteile des Genres umzudrehen und daß die Darsteller wirkliche Mißgeburten, siamesische Zwillinge, Menschen ohne Unterleib, Androgyne, Zwitter oder Liliputaner waren und sich selbst darstellten. Der Film löste massive Proteste aus, so daß MGM ihn kurz nach dem Start zurückzog. In den meisten europäischen Ländern war der Film verboten und tauchte erst 1963 in London wieder auf.

Seine Darsteller hatte Browning in seiner eigenen Zeit als Clown beim Zirkus kennengelernt, und daher rührte wohl auch sein unverkrampftes Verhältnis zu den Monstrositäten, die dort vorgeführt wurden, um den Normalbürger sich gesund fühlen zu lassen. Browning zeigt die Freaks auch nicht als bedauernswerte Geschöpfe, er läßt sie zurückschlagen und stellt sie als durchaus lebensfähig dar. Das siamesische Schwesternpaar heiratet im Verlauf des Films zwei Männer und kommt mit seiner Situation blendend zurecht. Ein Torso ohne Arme und Beine zündet sich dank ausgefeilter Technik eine Zigarette mit Streichhölzern an, ohne sich vom direkt daneben stehenden Gesunden helfen zu lassen.

Die Exposition, die positive Darstellung der Freaks nimmt fast den ganzen Film ein. Die Story kommt dabei - ohne daß das weiter tragisch wäre - etwas zu kurz und ist schnell erzählt. Ein Liliputaner verliebt sich in die wunderschöne Trapezkünstlerin des Zirkus, die ihn schließlich heiratet mit dem Plan, ihn zu vergiften, um an sein Vermögen zu gelangen. Als Hans, der Liliputaner, schließlich dahinter kommt, rächen sich die Freaks. Erst in der Schlußsequenz, als die Freaks die Trapezkünstlerin in den Wald verfolgen, wird der Film zum Horrormovie und spart trotzdem jede Grausamkeit aus, überläßt sie der Phantasie des Zuschauers und zeigt erst wieder das Ergebnis der Racheaktion.

Im Gegensatz zu Freaks ist The Devil Doll von 1936 (Brownings vorletzter Film) ein Horrorfilm ganz im klassischen Sinne. Der Bankier Lavond landet unschuldig im Gefängnis, weil seine Geschäftspartner ihm einen Überfall auf die eigene Bank angehängt hatten. Er flieht zusammen mit einem verrückten Wissenschaftler zu dessen verstecktem Labor, wo der Alte versucht, Menschen auf ein Sechstel ihrer ursprünglichen Größe zu schrumpfen. Beim Gehirn funktioniert die Sache leider nicht so richtig, die puppengroßen Menschen unterliegen völlig dem Willen ihrer Schrumpfer. Lavond geht daran, sich mit Hilfe der Puppen an seinen ehemaligen Partnern zu rächen.

Die Trickarbeit ist für den frühen Zeitpunkt ziemlich gut, sogar besser als bei The Incredible Shrinking Man, d e m Schrumpfungs-Klassiker. Ganz der Zeit entsprechend geht es um Werte wie Ehre und Stolz, und doch dient diese Fassade nur dazu, einen spannenden Thrill aufzubauen, was Browning voll und ganz gelingt.

Thomas Winkler

„Freaks“ (65 min, DF, erstmals auf 35 mm) und „The Devil Doll“ (78 min, OmU, deutsche Erstaufführung) im Doppelprogramm jeden Tag um 20.45 Uhr, Freitag und Samstag zusätzlich um 0.15 Uhr im Notausgang.

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