piwik no script img

KARTOFFELESSEN

■ Ein gemütlicher Herrenabend beim Deutschen Alpenverein

Meine Herren, liebe Bergkameraden...“ An diesem Abend erübrigt es sich für den Festredner, auch die Damen und Bergkameradinnen anzusprechen. In einer süddeutschen Provinzstadt in Sichtnähe der Alpen veranstaltet eine Sektion des Deutschen Alpenvereins ihren traditionellen gemütlichen Abend zur Ehrung der männlichen Jubilare. Unter der harmlosen Bezeichnung „Kartoffelessen“ steht das Ereignis im Sektionsprogramm, mit der Anmerkung „nur männliche Mitglieder!“

Nach mehreren Jahren Mitgliedschaft reizte es mich doch einmal, dieses Reservat alpinistischer Männlichkeit kennenzulernen. Der Sektionsvorsitzende, ein rüstiger Ruheständler, hatte mich ein paar Tage vorher über Ablauf und Charakter der Veranstaltung aufgeklärt: „Man muß auch mal feiern können, und das tun wir an diesem Abend.“ Die Warnung, dieser „Herrenabend“ sei nichts für Antialkoholiker, hatte mich nicht überrascht, doch der Hinweis auf eine „Weinkanone“ weckte eine gewisse Neugier. Meine Erwartungen wurden nicht enttäuscht.

Auch ein geselliger Abend eines deutschen Vereins beginnt pünktlich. Wenige Minuten nach der angegebenen Uhrzeit bleibt mir noch einer der letzten freien Plätze im Saal des gutbürgerlichen, traditionsreichen Hotels. Etwa 200 Alpinisten, von denen ich einige bei Wanderungen schon in Kniebundhosen und rot-weiß-karierten Hemden gesehen habe, sind anwesend, heute größtenteils im Anzug. Die riesigen Edelweiß-Symbole an den Wänden lassen allerdings keinen Zweifel daran, daß ich hier unter Männern des Deutschen Alpenvereins bin. Die meisten haben ihr Pils und Viertele schon bestellt und serviert bekommen, und die Kellner sind inzwischen dabei, die Kartoffeln aufzutragen, so daß ich eine Weile warten muß, bis ich das „Prost“ meiner Tischnachbarn erwidern kann, während die Drei-Mann -Amateurkapelle zum Auftakt „Wochenend‘ und Sonnenschein“ intoniert. Man braucht schon etwas zu trinken, weil es zu den Kartoffeln sonst nur Butter gibt - und davon gibt es auch dieses Jahr wieder zu wenig, wie sich die Stammgäste neben mir beklagen. Die Kartoffeln, die dem Abend seinen Namen gegeben haben, sind schon lange nur eine symbolische Vorspeise zum eigentlichen Essen. (In der Gründerzeit der 115 Jahre alten Sektion hatte es einen Wettbewerb gegeben, wer die besten selbstangebauten Kartoffeln auftischt.)

Zwischen den Kartoffeln und dem üblichen Tellergericht (Rehragout, Rotkraut, Knödel und Spätzle...) verschafft sich der Sektionsvorsitzende mit einer mittelgroßen Kuhglocke Gehör für seine Begrüßungsansprache, bei der er die Vertreter der Partnersektion aus der Schweiz und den Reporter der Heimatzeitung besonders begrüßt. Letzterer soll dafür sorgen, „daß wir auch richtig ins Blatt kommen“ (was dann auch zwei Tage später geschehen wird, mit Gruppenbild der Jubilare).

Das Ausschenken des von den Jubilaren spendierten Weißweins stellt sich als ein besonderes Ritual heraus. Seit einer Generation versieht der Bücherwart der Sektion seinen Dienst als „Kanonier“ an der „Weinkanone“, einer 14 Liter fassenden Flasche, die in einem Eisengestell so gelagert ist, daß sie aus ihrer senkrechten Normallage durch das Drehen einer Kurbel in die „Abschuß„-Position bewegt werden kann. Der Befehl des Vorsitzenden, die erste Runde auszuschenken, ist unmißverständlich: „Rohr entlüftet, Feuer...“ - und der ganze Saal antwortet: „FREI!“ Ebenso überwältigend ist jeweils der Dank an den großzügigen Spender: „Berg-... -HEIL!“ Wenn ich diesen „Bergsteigergruß“ nicht schon von manchen Gipfelbegegnungen mit solchen zünftigen Kraxlern gewohnt wäre, würde mir zumindest ein leiser Schauer über den Rücken laufen. „Und uns einen guten... SCHLUCK!“ Prost!

Die Ehrung der Jubilare beginnt mit dem Ältesten, der sich nach 60 Jahren Sektionszugehörigkeit schon ein ansehnliches „Ehrenzeichen“ verdient hat. Bei den „50jährigen“ ist dieses Jahr auch der Vorsitzende selbst dabei; der Schriftführer liest in diesem Fall die Laudatio. Bis auch den letzten silbernen Jubilaren ihre „silbernen Edelweiß“ verliehen worden sind, vergehen einige Kanonenrunden. Zur Ehrung der so Ausgezeichneten stimmt zum Abschluß der Zeremonie dann der ganze Saal das Lied „Das silberne Edelweiß“ an, nach der Melodie von „Oh, alte Burschenherrlichkeit“.

Das Liedgut des Kartoffelessens speist sich aber auch aus anderen Quellen. „Kartoffel in der Schale“ heißt ein Lied, für das die ausgeteilten Textblätter das Lied „Ein Heller und ein Batzen“ als Original angeben. Bei dem Refrain „Hei -di-hei-do-hei-da“ kommt es mir dann bekannt vor: Ein Soldatenlied, das im Zweiten Weltkrieg in Frankreich und anderswo einen bleibenden Eindruck deutscher Kultur hinterlassen hat. Auf meine dumm gestellte Frage erklärt mir ein Tischnachbar, das sei halt das Lied, das man beim Militär so sänge (seinem Alter nach wohl auch bei der Bundeswehr). Der Kartoffelessen-Text entspricht durchaus der Stimmung im Saal: „Und komm ich dann nach Hause, ruft meine Frau oh weh, oh weh (...) Ich bin voll süßen Weines, das ist gewiß, mein Schatz, ja Schatz; doch fröhlichen Gemütes, drum mach ein bißchen Platz, ja Platz. Denn wer kein froher Zecher, ist auch kein rechter Mann, ja Mann; drum leeret eure Becher, und glücklich, wer noch kann, ja kann.“ Und mein Nachbar schlägt seinem Nebenmann kraftvoll auf die Schulter.

Nach der musikalischen Pause tritt der Vorsitzende wieder ans Mikrofon, um die Festansprache vorzutragen. Nicht zuletzt durch den Bergsturz, der im vergangenen Jahr die sektionseigene Hütte fast ins Tal befördert hat, ist man auch hier auf die Umweltprobleme in den Alpen aufmerksam geworden, so daß Naturschutz das erste Thema seiner Rede ist: „Folgen wir auch immer dem Prinzip 'Naturnutz ist Naturschutz‘?“ Ein anderes Problem, das den Vorsitzenden bewegt, ist der Zeitgeist, durch den der Gedanke der Leistung nicht mehr das ist, was er wohl früher mal war. Und was ist Bergsteigen? Doch gerade Leistung, körperliche Anstrengung in freier Natur - und die Kameradschaft droben in den Bergen. Und jetzt singen wir alle gemeinsam: „Wenn wir erklimmen...“ Der Anfang des Liedes ist ja bekannt, aber die weiteren Strophen muß auch ich ablesen, bis zum Schluß, wo es heißt: „Wir kommen wieder, denn wir sind Brüder, Brüder auf Leben und Tod.“

Die Bergschwestern waren durchaus auch an der Vorbereitung des Abends beteiligt, indem sie für die Tischdekoration gesorgt haben. Ja, in Form von liebevoll gebastelten Puppen sind die Frauen sogar präsent: eine große und eine kleine Kartoffel aufeinander, Kleid, Schürze und Kopftuch. Die mehr oder weniger älteren Herren um mich herum finden es ganz in Ordnung, daß sie hier unter sich sind wie vor hundert Jahren. Bei einem Fest der Kaninchenzüchter sind ja auch nicht die Geflügelzüchter dabei - oder? Der Vergleich beeindruckt mich durch seine Logik. Im übrigen haben die Bergsteigerinnen ja das Frühlingsfest, bei dem der Vorsitzende die Jubilarinnen unter ihnen ehrt - und die Männer eingeladen sind, damit auch getanzt werden kann.

Zu einem richtigen Herrenabend gehört offensichtlich, daß die Herrenwitze nicht nur an den Tischen erzählt werden. Kurz nach Mitternacht übernimmt ein älterer Vertreter der Schweizer Delegation diesen Programmpunkt. Was haben wir gelacht! Und wieder Weinkanone. Die Kellner beeilen sich mit ihren Krügen, die halbleeren Gläser aufzufüllen, damit die nächste „abgeschossen“ werden kann. Und wieder ein Lied zusammen. Unermüdlich hält die Musikkapelle durch bis lange nach Mitternacht. Zum Ausklang spielt sie nach dem obligatorischen „Kufstein-Lied“ - ich wußte doch, daß ein Lied noch fehlt - „So ein Tag, so wunderschön...“ Das war's dann.

Am nächsten Morgen zeigt sich, daß der Wein nicht mal so schlecht war. Schon bald kommt mir rückblickend der erste klare Gedanke, die Erkenntnis eines Satirikers: „Es gehört zum Wesen der Satire, daß sie von der Realität übertroffen wird.“

Patrick Brauns

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen