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MULTI-MEDIA-MATSCH

■ Statt bloß Bier und GoGo-Girls: Rot-Grünes Kulturprogramm beim Sechs-Tage-Rennen / Mit Haag, Hagen, Hamlet, Hendrix und Jahnn

Ich sag Euch, gebt nur mehr und immer, immer mehr/ So könnt ihr Euch vom Ziele nie verirren/ Sucht nur die Menschen zu verwirren/ Sie zu befriedigen ist schwer... So sprach's ein alter Theater-Direktor'und gleiches wird wohl auch den Machern des Berliner Sechs-Tage-Rennens in den Hirnen geklappert haben. Fast eine Woche lang soll eine „Berliner Neue Mischung“ das alte Publikum mit Show, Schweiß, Kultur und Kurvenfahren überschütten.

Wenn in Westdeutschland noch zur Zufriedenheit der männlichen Zuschauer - und damit erfolgreich - an traditionellen Unterhaltungseinlagen festgehalten wird schäumendes Bier und entblößte Gebilde aus Haut, Fett und Bindegewebe -'zeigt sich der Berliner (und die Berlinerin) fortschrittlich; die Befriedigung primitiver Triebe bringt es irgendwie nicht, keineswegs ein Erfolg von Moral oder gar Feminismus, nee, nee, die Knete hat die Sache in Bewegung gebracht, Berliner Bier und bayerische Autos.

Also, wie machen wir's, daß alles frisch und neu und mit Bedeutung auch gefällig sei?, um die Deutschlandhalle vollzukriegen? Wer was auf sich hält, der bildet sich. Alle gesellschaftlichen Schichten, die alle kommen werden, meinen die Veranstalter, zu den verrücktesten Six-days aller Zeiten. Geradelt wird nicht auf einer profanen Holzbahn, es ist nichts weniger als ein „elliptisches Theater“ auf den Spuren Piscators. Singen und den Startschuß geben tut Nina Hagen, und mit am Abzug ist auch unser Regierender, dessen Wahlverwandtschaft mit Ex-B-Präsident Scheel („Ich mach‘ jeden Scheiß mit“) sich nicht mehr nur auf Vornamen und Haartracht beschränkt.

Nach diesem verheißungsvollen Beginn wird der zweite Tag die ganz große Attraktion. Was kann es Schöneres geben, als den ganzen Tag in den Gängen der Deutschlandhalle zu lustwandeln, „von Kultur zu Kultur“, wie Regisseur Burckner es so treffend formuliert. Der Kultivierungswert liegt hoch, die Freiheit der Entscheidung bieten ein Teufelsgeiger natürlich ein Russ‘ - , exklusive Bademode, „die sich gut am Körper trägt“, und verschiedene Theater, die heftig miteinander konkurrieren, Brechts „Mahagonny“ gegen - ganz wichtig - moderne Stücke und Pantomime. Dabei schon vorab als Geheimtip: Die Auseinandersetzung zwischen Tschaikowsky und Hendrix. Und dann eine Bühne weiter zur Akkordeon -Musik.

So richtig Klasse wird es aber erst, wenn ein bekanntes Schnell-Ess-Unternehmen - permanent dabei deutsche Rinder, brasilianische Bäume und die Verpackungsindustrie vor dem natürlichen Tod zu retten - nach dem Motto „Körper Gesundheit - Sport“ unschuldige Kinder in die Halle lockt und mit ihren Erzeugnissen vollstopft. Und danach sollen die Kleinen noch Fahrrad fahren, heißa, wird das lustig.

Noch mehr? Logisch! „Hauptprogramm in vier Akten“ nennt sich die Geschichte. Zum ersten: „Dia-Musik-Multi-Medial -Show“ über das irgendwie interessante, aufregende berlinische Leben der goldenen Zwanziger und braunen Dreißiger. Zum zweiten: „Mode-Theater-Musik-Performance“. Zum dritten: Romy Haag. Zum vierten: Drei Artisten und ein Koloß. Mit einem Text von Hans Henny Jahnn. Bezahlt von einer Autofirma.

Nur Mut, es ist zu schaffen. Und falls es doch kommt, daß mann oder frau, den Tränen nahe, etwas Geborgenheit und Schutz sucht: Kein Problem, das vertraute Fernsehen wird es schon richten. Zum Ausspannen läßt sich mit Schulli der Kopf freisaufen, natürlich beim „Original-Lindenstraßen-Wirt“ (selbst mitspielen im wirklichen Leben). Noch nicht bestätigten Gerüchten zufolge wird der Erste-Hilfe-Raum rund um die Uhr von „Klaus, Udo, Christa und Sherry Brinkmann sowie Oberschwester Hildegard“ betreut, die sich auf Wunsch auch freimachen.

Falls es ganz hart kommt, mit irgendwelchen Zweifeln am Sinn der Veranstaltung, der Kunst, des Lebens oder ähnlich Schrecklichem, dann predigen diverse Fernsehpfarrer das Sechs-Tage-Lied: Mensch, so ist dat janze Leben/ Alle wolln nach vorne streben/ He he he he hej/ Erst am Schluß, da dämmert's leise/ Mensch, wir fahren bloß im Kreise/ He he he he hej/ Und der erste, denkste, biste/ Und du strampelst ohne Pause/ Und dann siehste, letzter biste/ Und dann wankste bleich nach Hause/ Kein Sterblicher weiß, warum nur, warum.

Schmiernik

Berliner Sechs-Tage-Rennen vom 26. bis 31. Januar, Deutschlandhalle. Eintritt ab 20 Mark. Studenten, Rentner, DDR-Bürger 5Mark - West natürlich.

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