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Der Smog hat Mailand den Krieg erklärt

Trotz aller Verdrängungs- und Beschwichtigungsversuche mußte Mailands Bürgermeister den ersten autofreien Sonntag dekretieren - aber die Umweltschutzmaßnahme geriet zur Farce / Auf neun Stunden beschränkt, ist der Wert höchst fraglich  ■  Aus Mailand Werner Raith

„Du bist doch Ausländer“, sagt Fernando an der Kreuzung der Piazza Maggi und zurrt voller Wut die Plane an seinem Kleinlaster mit den Korbwaren wieder zu, „warum bist du nicht mit dem Auto gekommen? Wenn du heute dein Nummernschild verleihst, kannst du dir ein paar schöne Tage machen.“ Ausländer dürfen, im Gegensatz zu allen anderen Kraftfahrern, Taxis und Omnibusse ausgenommen, diesen Sonntag frei zirkulieren, und so mancher Tourist hat wohl sein Nummernschild für ein schönes Zubrot mal kurz abgegeben. Jedenfalls fallen dem Beobachter unzählige „deutsche“ Autos mit eindeutig einheimischen Fahrern auf. Auch schweizer Kennzeichen sind in Massen unterwegs - doch das sind, so Fernando, „extra für diesen Tag aus dem benachbarten Chiasso und Lugano hereingeholte Verwandte“.

Ein Tag ohne Auto scheint ein Alptraum fürs Land, und das macht auch verständlich, warum der erste autofreie Sonntag wegen Smog am Ende zur Farce geriet und - so die Umweltschutzorganisationen - wohl „zum kriminellen Akt“ wird.

Obwohl die sowieso ziemlich hoch angesetzten Grenzwerte seit Wochen überschritten sind, hat der sozialistische Bürgermeister Paolo Pillitteri sämtliche Register schlitzohriger Verschleppung gezogen, um nicht die Zwangsstillegung verfügen zu müssen. Mal sah er fern eine Regenwolke aufziehen und die vermaledeite Inversion beenden, dann waren es verfassungsrechtliche Bedenken.

Nichts zu machen: Der Smog hat den Lombarden den Krieg erklärt und will einfach nicht weichen. Also unterschrieb Pillitteri vergangene Woche schweren Herzens ein Dekret, das den Verkehr am Sonntag verbieten sollte - „zum Kranklachen“, fanden schon vorher die Ökologen, weil „am Sonntag die Lastwagen sowieso nicht herumfahren“. Doch Pillitteri, besorgt um die gute Laune seiner am Sonntag so gerne ins feudale Landhaus abschwirrenden Aufsteiger-Klientel, war entschlossen, die Lachnummer noch zu intensivieren: Obwohl der Stadtrat mindestens 24 Stunden Auspuffruhe verlangt hatte, schränkte der Bürgermeister den Verkehrsstopp auf gerade neun Stunden ein - von halb zehn Uhr vormittags bis halb sieben nachmittags. So konnten die Ausflügler noch schnell aufs Land entkommen und am Abend wieder zurückkehren.

An der Piazza Maggi, wo Fernando seine Korbwaren feilhält und nun, mangels Verkehr, wieder einpacken muß, konnten wir die Konsequenz schon am frühen Morgen absehen: Seit halb sieben schob sich Auto an Auto, „und wenn die am Abend zurückkommen“, sagt der Meßwart im Umweltbeobachtungswagen an der nahen Via del mare, „dann gute Nacht.“ Tatsächlich stiegen die Belastungswerte gegen acht Uhr schon auf ein Dreifaches der vergangenen Tage.

Gegen zehn Uhr schien dann, Auslandskennzeichen ausgenommen, die Ruhe fast perfekt - „doch auch das ist nicht sonderlich neu“, kommentiert Carabiniere Di Mario an der Mautstelle der „Autostrada del fiori“: „An schönen Sonntagen ist auch so in Mailand fast nichts los, weil alle an die Seen oder in die Campagnia ausreißen.“ So müssen die Ordnungshüter nur selten ein schwarzes Schaf stellen und wie die Verfügung vorschreibt - abschleppen lassen; ganz klar wird dabei allerdings nicht, welche Entlastung die Stillegung eines Fiat 127 bringen soll, wenn stattdessen ein dicker Lastwagen zum Wegholen ankarrt.

Gegen Mittag berichten die Lokalsender und der eigens mit einem mächtigen Konvoi von Sonderfahrzeugen angerückte Staatssender RAI über das „besonnene Verhalten der Mailänder“, die „ihre Karossen wirklich haben stehen lassen und plötzlich erfreut entdecken, daß sie schon lange nicht mehr mit ihrem Nachbarn gesprochen haben“. Heimlich mitgeschnittener O-Ton wird dabei allerdings meist nicht ausgestrahlt: Der würde, anders als die Erklärungen der „vernünftigen Bürger“ vor der Kamera, vor allem enthüllen, daß die Gespräche mit dem so lange vergessenen Nachbarn meist eher Wutausbrüche über die Stillegung des sonntäglichen Lieblingsspielzeugs und die dadurch verursachten Unbilden sind: Die arme Mamma in Como, die heute nicht mit dem Sohnemann samt Familie speisen kann, der seit Wochen verschobene Krankenbesuch, das Lüften des Wochenendhäuschens... alles entfällt.

Am Nachmittag wird freilich klar, daß Pillitteri vielleicht gar nicht so dumm spekuliert hat, gerade diesen Sonntag zu wählen - im Stadion San Siro findet das Top-Spiel Inter Mailand gegen Sampdoria Genua statt, und die Fans haben eine mächtige Wut gegen die Umweltschützer im Bauch: Am nächsten autofreien Sonntag wollen sie die Stadt im Handstreich nehmen - mit ihren Autos. Und Pillitteri hat dann einen neuen Grund zu zögern - die Sorge um die öffentliche Ordnung.

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