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Wer keine Wohnung hat, kriegt auch keinen Rat

■ Beratungsstelle für Wohnunglose wird geschlossen

Obdachlosen bleibt in Bremen bald nur noch eine Wahl: Das Jakobus-(Papageien-)Haus oder die Straße. Die einzige Bremer „Beratungsstelle für alleinstehende wohnunglose Bürger (ZBS)“ - seit 1979 von der Inneren Mission geführt und von Sozialsenator Scherf bezahlt - soll zum 1. März aufgelöst werden. Und das, obwohl die Zahlen derer, die kein eigenes Dach über dem Kopf haben, in Bremen ständig steigen. Rund 200 sogenannte „Nichtseßhafte“ waren 1989 beim Sozialamt geführt - Dunkelziffer unbekannt. Angesichts steigender Wohnungsnot rechnen Behörden allein in diesem Jahr mit einer Verdopplung der Zahlen.

Für „unverantwortlich“ hält der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Horst Frehe angesichts dieser Entwicklung die Pläne von Sozialsenator Hennig Scherf, den Obdachlosen nun auch noch ihre einzige ambulante Beratungsstelle wegzunehmen.

Rund 5.000fach habe die ZBS im letzten Jahr noch beraten und helfen können. In vielen Fällen sei es den Beratern gelungen, drohende Obdachlosigkeit zu verhindern oder neue Wohnungen zu vermitteln. In Zukunft, so Frehe, bleibe den Betroffenen lediglich der Weg ins Obdachlosen-Asyl „Jakobushaus“.

Für einen „politisch einmali

gen Vorgang“ hält Frehe auch die Form, in der das „Aus“ für die ZBS in der Sozialdeputation durchgepaukt worden sei. Ohne förmlichen Antrag, ohne schriftliche Vorlage und ohne ausführliche Debatte sei die Schließung der ZBS am letzten Donnerstag mit den Stimmen der SPD-Deputierten und gegen den einhelligen Widerstand der Oppositionsfraktionen abgesegnet worden.

Für seine Forderung nach einem „erweiterten ambulanten Beratungsangebot mit neuem Konzept“ erhielt Frehe gestern die geballte akademische Unterstützung von mehreren Sozialwissenschaftlern. Als „tragikomische Figur“ wertete z.B. der Bremer Hochschullehrer Rudolf Bauer Sozialsenator Henning Scherf. Bauer: „Mit Blick nach Bonn beschwört er die Gefahr einer Zweidrittel-Gesellschaft, hier in Bremen ist er es selbst, der die Zweidrittel-Gesellschaft vollstreckt.“

Scherf-Sprecher Werner Alfke bestätigte gestern zwar die ZBS-Schließungspläne, mochte die grüne Kritik daran aber nicht nachvollziehen: „Wir wollen und Obdachlosen-Beratung in Zukunft nicht sparen, sondern sie effektiver organisieren.“ Die bisherigen Aufgaben der ZBS sollen deshalb künftig im Jakobushaus miterledigt werden.

K.S.

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