: Hungerbäuche f für Schlaraffia
■ Die Barmherzigkeit der reichen Länder ist scheinheilig. Nicht aus Nächstenliebe werden Agrarüberschüsse in die armen Länder exportiert, sondern aus Interesse, den eigenen Wohlstand zu sichern. Die Dritte Welt dient lediglich als Überschußdeponie.
Von
JENS-GÜNTHER PETERSEN
Im Märchen endet die Sache mit gewaltigen Bauchschmerzen: Nachdem die Köchin dem Zaubertopf nicht mehr Einhalt gebieten konnte, weil sie den Zauberspruch vergessen hatte, kochte der Brei über, ergoß sich in die Küche, ins ganze Haus, lief auf die Straße, bis endlich alle Straßen und Plätze verstopft waren. Wollte jemand von einem Ort zum anderen, mußte er sich durch den Brei essen.
Vielleicht werden künftige Generationen die gewaltigen Agrarüberschüsse, die Jahr für Jahr in der EG und in den USA eingefahren werden, mit jenem Märchen vergleichen. Von Weizenbergen und Zuckerhalden ist die Rede. Und bis zur Milchquotenregelung des EG-Ministerrates sahen sich die Brüsseler Zauberlehrlinge bis zur Halskrause im Milchsee stehen. In ihrer Not fiel den Agrarpolitikern das Perpetuum mobile ein: Mit Milliardensubventionen förderten sie den Absatz von Magermilch zu Futterzwecken: hinten gemolken, vorne verfüttert.
Subventionen - das Zauberwort, mit dem der Kessel am Kochen gehalten wird: Für das vermeintliche Schlaraffenland ist ein hoher Preis zu zahlen: Europas Steuerzahler werden dafür kräftig geschröpft. Rund 20 Milliarden Mark machen alleine die Lagerkosten und Ausfuhrerstattungen jedes Jahr aus fast dreimal mehr als die Bundesrepublik für Entwicklungshilfe bereitstellt.
Da rede noch jemand von der vielgepriesenen Marktwirtschaft. Die Lebensmittelpreise sind, gemessen an den Subventionen, hoch. Trotzdem stehen die europäischen Kleinbauern, die betriebswirtschaftlichen Grenzanbieter, vor dem Ruin. Wer wirtschaftlich überleben will, muß investieren, rationalisieren, mehr produzieren. Der Chemieindustrie sei Dank. Wachsen oder Weichen, heißt die Devise. Und damit wachsen die Lagerbestände, und es wächst der Kampf um Absatzmärkte.
Ein Kampf, der weltweit und mit harten Bandagen geführt wird. Mit von der Partie sind die Agrarriesen EG und USA, aber auch all die anderen Schlaraffenländer. Da haben nicht mehr die Bauern das Sagen, hier fighten internationale Agrarhandelshäuser, Spekulanten an den Warenterminbörsen und die Agrarminister der beteiligten Länder.
Da wird auch schon mal kräftig ausgeteilt. „Handelskriege“ wird das Gerangel um Weltmarktanteile in schönstem Schlagzeilen-Deutsch genannt.
Exportiert wird vor allem in die Dritte Welt. Hier haben die USA bereits erhebliche Marktanteile einbüßen müssen. Waren vor wenigen Jahren beispielsweise Algerien und der Sudan noch unangefochtene Agrarmärkte der Vereinigten Staaten, hat sich das Blatt inzwischen zugunsten der EG gewendet.
Billige Agrargüter aus den Überschußregionen dieser Welt für den notleidenden Süden. Keineswegs zu dessen Vorteil. Die philippinischen und karibischen Zuckerrohranbauer können ihre Erzeugnisse nicht mehr gegen die subventionierten Zuckerrüben aus Europa durchsetzen. Die Folgen: Hunderttausende Arbeitsplätze gehen auch dort verloren. Auf der philippinischen Zuckerinsel Negros hungern die Menschen, weil sie ihr Einkommen auf den Zuckerrohrfarmen verloren haben.
Ach ja, der Hunger! 800 Millionen Menschen sind davon betroffen. Wenn wir uns schon den Luxus der Überschüsse leisten, sollten wir sie damit nicht ernähren? Noch besser: Das wäre doch der Ausweg aus dem Überschußdilemma. Hilf, und Dir wird geholfen. Nahrungsmittelhilfe - wieder so ein Zauberwort. Über 94 Entwicklungsländer ergießt sich inzwischen der Warenstrom: Weizen, Milchpulver, Zucker, Fleisch, Butteröl... Waren im Wert von fast drei Billionen US-Dollar, preiswert geliefert oder geschenkt von den Schlaraffenländern.
Hier von Altruismus zu sprechen, das ist was für Sonntagsreden. Beim Deutschen Bauernverband dagegen wird Tacheles gesprochen: „Die Agrarpolitik folgt primär kommerziellen Interessen. Eine Strategie gegen den Hunger kann an kommerziellen Interessen der Haupterzeuger- und Verbraucherländer nicht vorbei.“
Nur zehn Prozent der weltweiten Nahrungsmittelhilfe werden in wirklichen Not- und Katastrophenfällen geleistet - wenn sie tatsächlich hilft, Menschenleben zu retten. 20 Prozent werden in Verbindung mit Projekten geliefert, und 70 Prozent strömen als sogenannte Massenlieferungen auf die Märkte der Dritten Welt. Und dort haben sie eine zerstörerische Wirkung, wie der Bericht eines Entwicklungshelfers aus dem Sudan belegt: „Obwohl es wieder Regen gab und die Bauern Überschüsse bei der Hirseernte hatten, werden jetzt Weizen-, Mais- und Hirselieferungen in das Gebiet gepumpt. Die Märkte sind überschwemmt, und prompt halten sich die Händler mit dem Ankauf der Ernten zurück, weil sie sicher sind, daß die Preise in den Keller fallen. Die Bauern geben auf, ihre Felder abzuernten. Der nächste Hunger ist schon vorprogrammiert.“
Euphemistisch klingt die Aussage der Neuen Zürcher Zeitung, „daß Nahrungsmittelhilfe erdacht wurde, um ungeplant anfallende Überschüsse am wenigsten sinnlos zu verschwenden“.
Sinnlos? Eher eine geschickte Marktöffnungspolitik, die John Davison Rockefeller zur Ehre gereicht. Der Begründer der Standard Oil Company hatte im China des 19.Jahrhunderts vorgemacht, wie so etwas funktioniert: Er verschenkte Hunderttausende Petroleumlampen und ließ sich dafür als Wohltäter feiern. Sein Ziel hatte er mit relativ wenig Aufwand erreicht: Er schuf eine Nachfrage nach Petroleum und er besaß das Verkaufsmonopol.
Heute geht es um Milchpulver, das die Mütter in Afrika ihren Kindern statt Muttermilch geben. Oder um Weizen, der in Westafrika wegen der klimatischen Verhältnisse nicht wächst, aber aus dem die Baguettes gebacken sind, die statt Hirsefladen auf den städtischen Märkten verlangt werden. Die Nahrungsgewohnheiten haben sich schrittweise verändert. Was sollen sich da noch afrikanische Bauern abrackern, wenn sie ihre Hirse oder ihren Mais doch nicht verkaufen können? In den Statistiken ist dann von „strukturellen Nahrungsmitteldefiziten“ die Rede. Jetzt endlich das Argument: Die brauchen unsere Überschüsse. So geht das.
Nicht, daß nur die Schlaraffenländer davon profitieren, haben sie doch ein lukratives Ventil für ihre Überschußprobleme gefunden und können so ganz nebenbei mit ihrer Lieferpolitik die Guten belohnen und die Bösen bestrafen. Auch so mancher Politiker der Driten Welt träumt von Schlaraffia. Die billigen oder geschenkten Nahrungsmittel, die zu niedrigen Preisen vor allem auf den städtischen Märkten weiterverkauft werden, wirken beruhigend auf rebellische Gemüter. Wirtschaftliche Reformen, höhere Löhne oder politische Demokratisierung können erst mal aufgeschoben werden. Obendrein wird aus den Verkaufserlösen der Nahrungsmittel der Staatshaushalt zu einem erheblichen Teil finanziert. Bangladesch oder Ägypten sind solche Beispiele. Ein Narr, wer da nicht mitspielt, ist doch sein politisches Schicksal mit den Nahrungsmitteln aus dem Ausland eng verbunden. Im Sudan haben sie dafür ein Sprichwort: „Hungern die Bauern, gibt es Tote. Hungern die Städte, gibt es Revolution.“
Ronald Reagan hat das in einer Rede zum 30jährigen Bestehen des „Food for Peace„-Programms der USA aus seiner Sicht auf den Punkt gebracht: „Das Nahrungsmittelhilfeprogramm hat viele Ziele erreicht: Hunger und Unterernährung zu bekämpfen, die US-Agrarmärkte auszuweiten, Wirtschaftsentwicklung in der Dritten Welt zu fördern und die Außenpolitik der Vereinigten Staaten auf andere Weise zu propagieren.“
Na bitte, wer sagt's denn? Immer noch besser, als das ganze Zeug auf den Müll zu werfen. Die Dritte Welt hat schon für so vieles als Deponie herhalten müssen, da werden die mit unseren Agrarüberschüssen auch noch fertig. Wie gehabt, die Sache endete schon im Märchen mit Bauchschmerzen.
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