Der Ost-SPD erster Durchmarsch

■ Mit dem Vorziehen der Wahlen in der DDR hat die SPD ihren Startvorteil erheblich ausgebaut

Noch bevor am 18.März das Ergebnis der vorgezogenen Volkskammerwahlen feststeht, scheint sich die SPD zur bestimmenden Kraft des Landes zu entwickeln. Sie jedenfalls war die treibende Kraft, die bei den Verhandlungen mit Ministerpräsident Modrow in der Nacht zum Montag - ohne Absprache mit der restlichen Opposition - den früheren Wahltermin auf den Tisch legte und durchsetzte.

Hatten sich die oppositionellen Gruppierungen in einer Marathonsitzung am Freitag nach langem Gezerre noch auf eine gemeinsame Regierungsbeteiligung bis zum ursprünglichen Wahltermin am 6.Mai geeinigt, so legten die SPD-Vertreter am Sonntag - ohne vorherige Absprache - den vorgezogenen Wahltermin auf den Verhandlungstisch.

„Im Interesse der Stabilität des Landes“ lautet seitdem die Sprachregelung, mit der die SPD-Strategen den neuen Wahltermin verteidigen. Das Land brauche die klare Zäsur einer demokratisch legitimierten Regierung so schnell wie möglich, vertraute SPD-Geschäftsführer Ibrahim Böhme seinen Zuhörern am Rande des runden Tisches an. Der tägliche Aderlaß von 2.000 Übersiedlern könne anders nicht gestoppt werden. Man rechne Modrow hoch an, daß er angesichts der desolaten Situation des Landes nicht schon das Handtuch geworfen habe. Auch eine von der Opposition mitgetragene Regierung hätte, so Böhme, schwerlich bis zum 6.Mai durchhalten können. Mit ihrem Scheitern aber wäre die Durchführung freier Wahlen selbst gefährdet gewesen.

Mit staatsmännischer Attitüde und Verantwortungspathos versuchen die SPD-Vorständler am Tag nach der weitreichenden Entscheidung alle Spekulationen über parteitaktische Erwägungen zu zerstreuen. Doch für den Verdacht, daß sich die SPD vor allem vom Eigeninteresse leiten ließ, spricht viel. Nicht nur die Überrumpelungstaktik, die die Rest -Opposition verbittert. Die Sozialdemokraten sind auch die einzigen, die vom neuen Termin profitieren. Ihre Organisation ist allen anderen neuen Gruppierungen weit voraus. Sie gelten schon jetzt als ausgemachte Wahlsieger und mußten deshalb am ehesten das Verschleißrisiko in einer mehrmonatigen Regierungskooperation mit SED und Blockparteien fürchten.

Die Rest-Opposition dagegen wird in eine schier ausweglose Lage gebracht. Alle befinden sich noch immer in der Aufbauphase, und ein gemeinsames Wahlbündnis war selbst für den ursprünglichen Wahltermin kaum erreichbar. „Um des höheren Zieles willen“, so Ibrahim Böhme, nehme die SPD jetzt das erhebliche Risiko der Rest-Opposition in Kauf.

Demgegenüber wertet Wolfgang Templin, Vertreter der Initiative Frieden und Menschenrechte, das Vorgehen der SPD als „klare Interessensentscheidung, die jetzt vom Gerede über den nationalen Notstand überwölbt wird“. Noch am Freitag sei sich die Opposition einig gewesen, daß am Termin 6.Mai „nicht gedeutelt“ werde.

Spekulationen machen die Runde, daß die neue Linie mit Modrow abgesprochen war. Der schwenkte am Vorabend schnell auf den SPD-Vorschlag ein, nachdem Böhme klargemacht hatte, daß nur bei vorgezogenen Wahlen an eine Regierungsbeteiligung der SPD zu denken sei. Die CDU wollte ihrerseits nur einer Regierung beitreten, in der auch die SPD vertreten wäre. Die LDPD hatte nichts gegen den Eiltermin einzuwenden, und die restlichen Gruppierungen wollten sich nicht ins Abseits stellen, zumal sie gegen eine demokratisch legitimierte Regierung zum schnellstmöglichen Zeitpunkt schwer etwas einwenden können - außer der Tatsache, daß für sie die Chancen, auch noch nach dem 18.März am Kabinettstisch zu sitzen, schwinden.

Über die Funktion der beschlossenen Übergangsregierung machte sich am Montag kaum ein Ostberliner Politiker Illusionen. Eine Farce, kommentiert Templin. Politische Aufgaben waren kein Thema am Verhandlungstisch. Alle Gruppierungen des runden Tisches werden einen Vertreter als Minister ohne Geschäftsbereich, aber mit vollem Stimmrecht benennen. Von Einarbeitung in irgendwelche Sachgebiete kann angesichts der verbliebenen Frist auch kaum die Rede sein.

Einen positiven Aspekt können die kleineren Gruppen dem frühen Wahltermin allerdings abgewinnen: Die rechten Parteien DSU und Neue Forum Partei sind in ihrer Organisation noch weiter zurück. Sie dürften in den verbleibenden sieben Wochen kaum einen ernstzunehmenden Wahlkampf führen.

Einer nahm die Entscheidung gelassen-defätistisch: Gregor Gysi. Er tat noch in der Nacht zum Montag interessierten Journalisten seine Haltung kund. Als Vorsitzender einer Partei, deren Zustand er nicht weiter erläutern müsse, sei er von allen wahlkampftaktischen Überlegungen entlastet. Für die SED-PDS mache es keinen Unterschied, ob alter oder neuer Wahltermin.

Matthias Geis