Alte aktivierend pflegen

■ Neues Sozialzentrum in Walle will weg vom Altersheim als Bewahranstalt

Wer kennt sie nicht, die Horrorvisionen vom Altenheim? Alte Menschen irren allein auf dunklen Fluren herum, das Sprechen ist längst verlernt. Die Pflegenden sind hilflos, überfordert, unsanft. Wer noch nicht unselbständig und verwirrt ist, wird es spätestens unter der totalen Versorgung ohne persönliche Zuwendung.

Dem neuen Sozialzentrum und Altenheim der Arbeiterwohlfahrt in der Waller Reuterstraße wurde deshalb ein Konzept der „Aktivierenden Pflege“ in der Betreuung von alten Menschen zugrundegelegt. Es bedeutet nichts anderes, als daß die mehr oder weniger rüstigen Alten aufgefordert sind, ihren Alltag im Altenheim so weit sie noch können, mitzuorganisieren oder sich gegenseitig zu helfen. Auch die Angehörigen sind jederzeit willkommen. Die 52jährige Tochter einer Bewohnerin erzählt begeistert: „Ich schaue jeden Tag auf dem Heimweg von der Arbeit hier vorbei. Der Heimleiter sagte mir am ersten Tag: Sie können immer kommen, es ist nicht mein Haus, sondern Ihr Haus!“ Michael Boldt, der Heimleiter dazu: „Wir haben bei der Belegung die Waller Bürger vorgezogen. Auf diese Weise wird vermieden, die alten Menschen aus ihren gewachsenen Beziehungen herauszureißen. Angehörige und Nachbarn sind weiterhin in der Nähe.“ Der rotverklinkerte Neubau wirkt einladend, ist von innen hell und freundlich. Für die rüstigen Alten gibt es auf zwei Etagen 15 Einzelzimmer, 16 Doppelzimmer und ein Appartement. Für Plegebedürftige stehen 16 Betten, sowie 27 Betten für die

Kurzzeitpflege bereit. Die Möglichkeit der Kurzzeitpflege erlaubt es den oft sehr erholungsbedürftigen Angehörigen in Urlaub zu fahren. Auch Aidskranke werden aufgenommen. In jeder Abteilung finden sich Therapie- und Gemeinschaftsräume und offene Nachbarschaftstreffpunkte. Die Beratungsstelle des Dienstleistungszentrums berät in allen sozialen Fragen, organisiert Haus

haltshilfen und Hauspflege.

Eine Schattenseite hat der Umzug in die Reuterstraße: 3.000 Mark im Monat müssen die Bewohner oder ihre Angehörigen aufbringen - da sind Ersparnisse schnell aufgebraucht und das Sozialamt muß zahlen. Klaus Wedemeier in seiner Eröffnungsansprache: „Es ist ein unerträglicher Zustand, daß Menschen, die ihr ganzes Leben lang gearbeitet ha

ben, sich an ihrem Lebensabend als Bettler und Bittsteller erfahren müssen.“ Ein Gesetzentwurf der SPD, diesen Zustand durch ein Pflegegesetz zu ändern, liegt seit 1988 vor.Ob das neue Konzept fruchtet, wird nicht zuletzt vom Pflegepersonal abhängen. Denn guter Wille geht oft genug in der Hetze des Alltags unter, besonders bei Unterbesetzung.

bea