Die Partei, mit der keiner gerechnet hat

■ Zweiter Teil der Serie über die REPs/Das "Wunder an der Spree" und die Folgen/Kurz nach der Wahl spitzte sich der Flügelkampf zu/Finanzskandale, "Sieg-Heil"-Rufe und Parteiaustritte

an der Spree

Über den Wannsee schipperte in der Wahlnacht ein Schiff, und an Bord war der Teufel los. Die Reps hatten sich, aus Angst vor militanten Antifas, aufs Wasser zurückgezogen und begossen dort ihren Wahlsieg. Während die zukünftigen Parlamentarier, hin- und hergerissen zwischen Unglauben und Begeisterung über 90.000 WählerInnen, die Schiffsbar leersoffen, demonstrierten schon Tausende vor dem Schöneberger Rathaus gegen den unglaublichen Überraschungserfolg der Reps. Was die einen noch in derselben Nacht das „Wunder von der Spree“ nannten, war den anderen ein Graus. Denn das Berliner Ergebnis, das wurde schnell klar, hatte Signalwirkung nach Westen. Nachdem die Reps nach ihrem 1883er Achtungserfolg in Bayern (drei Prozent) wieder in der Versenkung verschwunden waren, war nun der Damm gebrochen. Das Thema „Republikaner“ bestimmte die öffentliche Diskussion mindestens genauso wie die sich abzeichnende Bildung eines rot-grünen Senats in Berlin. Die Reps waren so erfolgreich, das sie einige Parlamentssitze gar nicht besetzen konnten, weil sie nicht genügend Kandidaten aufgestellt hatten. Nur in einem von zwölf Bezirksparlamenten schafften die Reps den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde nicht.

Täglich meldeten sich Dutzende Berliner, die in die Partei aufgenommen werden wollten. Der stellvertretende Landesvorsitzende der Jungen Union verließ die CDU und trat den Reps bei. Pagel machte ihn sofort zum Fraktionsassistenten. Gleichzeitig begannen sich einige Reps Sorgen darüber zu machen, daß nun auch Leute in die Parlamente gekommen waren, die von Tuten und Blasen keine Ahnung hatten.

Den frischgebackenen Parlamentarier Andres plagten solche Sorgen jedoch nicht. Er wollte den Wahlerfolg auch materiell genießen: Der kleine Beamte stellte nach kurzer Zeit seine Frau als Sekretärin ein („Sie ist die einzige, der ich vertrauen kann!“) und zahlte ihr monatlich 5.000 Mark aus der Rep-Kasse. Das Parteivolk sah murrend zu. Gerüchte tauchten auf: Andres hätte sich eine kugelsichere Limousine bestellt. Kostenpunkt: über 100.000 Mark. Ein Parteimitglied forderte plötzlich von Andres ein Darlehen in Höhe von 68.000 Mark zurück. Er stritt ab, das Geld jemals bekommen zu haben. Als ein Kreditvertrag auftauchte, der seine Unterschrift trug, kam Andres schwer in die Bredouille. Der Gläubiger klagte, und wo das Geld geblieben ist, untersucht zur Zeit die Staatsanwaltschaft.

Als Andres im April einen unliebsamen Parteifreund aus dem REP-Fraktionszimmer per Polizeigriff hinausbeförderte, sein Hemd zerriß und ihm mehrere blaue Flecken beibrachte, spitzte sich die Lage zu. Pagel, Morgenluft witternd, beschwerte sich öffentlich über die „hausgemachten Affären“ seines Vorsitzenden. Der Ruf nach einem Wechsel in der Führungsspitze wurde lauter. Pagel gab bekannt, er erwäge gegen Andres auf dem Landesparteitag im Juli anzutreten. Dann kam es plötzlich zum ersten großen öffentlichen Knall. Der Lack ist ab

Unter der Überschrift „Sie schrecken vor Gewalt nicht zurück“ begründete die 21jährige stellvertretende Landesvorsitzende der Berliner Reps, Alexandra Kliche, in einer Aprilausgabe des 'Spiegel‘ ihren Austritt aus der Partei. Sie beschrieb die bereits erwähnten dubiosen finanziellen Machenschaften von Andres, die damit verbundenen juristischen Auseinandersetzungen sowie miese Tricks internen Clinchs, der bis zu Handgreiflichkeiten ging. Neben der öffentlichen Bloßstellung der Partei verloren die Reps in ihr eine verläßliche Parteiarbeiterin. Kliche war anderthalb Jahre zuvor bei den Reps eingetreten und hatte sich schnell zur „Medienbeauftragten“ der Partei gemausert. Während des Wahlkampfes hatte sie die redaktionelle Verantwortung für die Berliner Ausgabe des 'Republikaner‘, einer Parteizeitung, übernommen. Kliche galt als Vorzeigefrau der Berliner Reps: Als Teenager hatte sie sich an den „Miß-Berlin-Wahlen“ beteiligt, das Yuppie -Käseblättchen 'Coupe‘ feierte sie in der Septemberausgabe 1988 als erfolgreiche Jungpolitikerin und im Januar 1989 moderierte sie strahlend den Wahlparteitag der Reps, während draußen die Steine flogen. Schönhuber war begeistert über solchen Nachwuchs. Alexandra Kliche trat wenige Tage nach ihrem Austritt in die Berliner CDU ein und wurde dort mit offenen Armen empfangen.

Der „Fall Kliche“ sorgte für Unruhe bei den Reps. In der Münchner Parteizentrale wurde man unruhig: Man fürchtete, das „Wunder von Berlin“ könne durch die an die Oberfläche gespülten Affären an Signalwirkung verlieren. Die Presse berichtete, daß stadtbekannte Neonazis als Rep-Mitglieder aufgenommen worden waren, darunter jemand, der wenige Jahre zuvor noch die NSDAP in West-Berlin neu gründen wollte. Ein „Republikaner“ wurde dabei erwischt, wie er während eines Fußballspiels „Sieg Heil!“ rief. Die Parlamentsfraktion der Reps, der Berhard Andres vorstand, trat öffentlich kaum in Erscheinung -, von peinlichen kleinen Anfragen, die zum Teil sogar das Prinzip der Gewaltenteilung mißachteten, einmal abgesehen. Stattdessen setzte sich das Hauen und Stechen, das in der Partei gang und gäbe war, dort fort. Die Reps waren offenbar nicht in der Lage, ihre 7,5 Prozent in eine politische Strategie umzusetzen. Innerhalb der Berliner Kreisverbände mehrten sich die Stimmen, die Andres‘ Ablösung forderten. Carsten Pagel witterte seine Chance. Der Parteitag

Franz Schönhuber sprach ins Mikrofon und das Parteivolk stand auf den Tischen. Der Führer der Partei war am 9. Juli in die alte Reichshauptstadt geflogen, um auf dem Parteitag der Berliner Reps zu sprechen - und gegebenenfalls die Wogen zu glätten. Denn obwohl der Saal des Kreuzberger „Wirtshauses an der Hasenheide“ mit rund 350 Rep-Delegierten fast überkochte, wenn der große Vorsitzende die Journalisten als „wahre Volksverhetzer“ bezeichnete, war schon im Vorhinein deutlich geworden: Die Partei war gespalten. Zwei etwa gleich große Lager standen sich gegenüber: Die einen wollten Carsten Pagel zum neuen Vorsitzenden machen, die anderen setzten nach wie vor auf Bernhard Andres. Nun saßen die beiden Konkurrenten im Präsidium und würdigten sich keines Blickes.

Pagel hatte schon Ende Mai öffentlich angekündigt, daß er eine Kandidatur gegen Andres erwäge. Andres trat daraufhin als Fraktionsvorsitzender zurück. Sein Plan: Er wollte Pagel diesen Job überlassen, um eine Gegenkandidatur des 26jährigen Jurastudenten auf dem Parteitag zu verhindern und damit seine Haut als Parteivorsitzender retten. Pagel ging auf den Deal jedoch nicht ein und bestand darauf, gegen den Verkehrspolizisten anzutreten. Es war also davon auszugehen, daß es auf dem Parteitag zum „Knall“ kommen würde.

Ärger vorrausahnend, fand der Rep-Parteitag deshalb auf Weisung aus München eine Woche später statt, als ursprünglich geplant. Der Hintergrund: Am 9. Juli wurde das Europäische Parlament gewählt. Die Parteistrategen aus Bayern wollten nicht riskieren, daß ihre Chancen auf einen Einzug ins Brüsseler Parlament durch einen Eklat in Berlin geschmälert würden. Das Treffen wurde deshalb ebenfalls für den 9. Juli angesetzt - mögliche Saalschlachten zwischen den Delegierten hätten dann keinen Einfluß mehr auf das Wählerverhalten gehabt.

Daß der Wettkampf zwischen Pagel und Andres mehr war als reine Postenhuberei, wurde an diesem Tage deutlich. Hier standen sich zwei völlig verschiedene Politikkonzepte - wenn man das überhaupt so nennen kann - gegenüber. Während Pagel eine programmatische Rede hielt, in der er für den Fall seiner Wahl eine Kampagne gegen das vom rot-grünen Senat avisierte Ausländerwahlrecht ankündigte, mit der wir diesen Senat stürzen müssen und einforderte, daß sich die Reps mit allen möglichen Politikfeldern beschäftigen sollten, begnügte sich sein Kontrahent damit, Ehrenurkunden an „verdiente Mitglieder“ zu verteilen. Über vierzig dieser Schriftstücke brachte er bei namentlicher Nennung unters Parteivolk - und hatte seine gefährdete Mehrheit plötzlich wieder in der Tasche. Der 38jährige setzte sich in einer Kampfabstimmung mit 192 zu 151 Stimmen durch - 42 Stimmen oder Ehrenurkunden - zu wenig für Pagel. Auch zur befürchteten Generalabrechnung kam es nicht. Sobald sich Redner über die Finanzskandale der Partei äußern wollten, wurde ihnen vom Präsidium das Wort entzogen. Schönhuber beschwor die Delegierten dann, diesen ganz sensiblen Punkt doch bitte nicht zu erörtern. Die meisten Delegierten hielten sich daran, einige traten am darauffolgenden Montag frustriert aus der Partei aus.

Bernhard Andres überlebte trotz seines unerwarteten Sieges nur noch das Sommerloch. Anfang September putschte Pagel in der Fraktion und schloß seinen Konkurrenten aus. Wenige Tage später erließ die Münchener Zentrale ein Funktionsverbot für Andres -, nun war er auch den Parteivorsitz los. Als stinknormales Mitglied ohne Macht und Einfluß wollte Andres aber sein Leben nicht fristen. Er erklärte seinen Austritt aus der Partei und gründete sofort die „Deutschen Demokraten“ - eine rechtsradikale Politsekte mit vierzig Mitgliedern, die heute vor allem damit beschäftigt ist, den Reps ans Bein zu pinkeln. Schönhuber setzte aber nicht Pagel als Andres‘ Nachfolger ein, sondern wegen der großen Anzahl von Pagel-Kritikern den früheren stellvertretenden Landesvorsitzenden Oliver Straube. Der Hahnenkampf ging deshalb weiter -, nur die Namen hatten sich geändert.