: Wer kriecht, kann nicht stolpern“
■ Waller Dadasophismen - Ein Abend mit Herrn Ulrich Reineking-Drügemöller
Unter dem Titel „Text as text can“ verfolgte ein aufmerksames Publikum am Freitag abend in der Galerie des Westens in Walle einen Vortrag des lokal bekannten Dichters Ulrich Reineking Drügemöller (im folgenden URDRÜ abgekürzt). Die zentralen Thesen des wortgewandten Vortragenden, der sich affirmativ begleiten ließ von Fräulein Susi Schenk am bedauerlicherweise leicht verstimmten Klavier, lauteten: „Menschen mit 'nem Hund / sind keine oder nicht gesund“ und „Wer die Menschen verachtet, neigt nicht zum Rassismus“.
An diesem Abend fiel für jeden der zahlreich erschienenen Bewohner des aufstrebenden Stadtteils Walle etwas ab. Schlichte Gemüter durften herzhaft lachen, Lehrer und Rottweilerbesitzer mußten sich ertappt fühlen und Kenner und Eingeweide hatten
Freude an vielerlei Anspielungen auf Literarisches. „Dadasophismus“ lautet die Lehre, die URDRÜ von seinen Ausflügen in die Unterleibe der goßen Städte und Politiker mitbringt. Einstiegsdroge ist eine Whiskysorte.
„Warum ist Kenigsberg noch nicht unser?“ fragt er seine „Landsleute“ und vertröstet sie zugleich auf das Jahr 2003: 2000 Olympia in Berlin, immer wurde „drei Jahre später zurückgeschossen“. Man muß positiv denken, z.B. „Gewichtsverlust durch Amputation“. Und nie das Ziel aus den Augen verlieren: „Die Utopie ist die hundefreie Stadt.“ Ein Schäferhund, so berichtet der Hundefänger, entspricht 80 Big Mac. Woher dieser Hundehaß, der uns entgegenschlägt? URDRÜ fragt zurück: „Wieviel Rentnersexualität findet keine Erfüllung“, weil Gassigehen wich
tiger war?
Die immer wieder vom Beifall des zigarettendrehenden originalwaller Publikums belohnten Kapitel des Vortrags, der nicht nur, wie versprochen, Gabriele Wohmann, sondern auch Kurt Schwitters ad absurdum führte, mündeten im gemeinsamen Absingen des Waller Heimatliedes „Sag‘ beim Abschied leise 'Servus'“, einer Hymne, in der so viel zusammenfließt: Sehnen vergessener Underdogs, melancholisches Erinnern an die heiße St. Pauli-Zeit Walles, Hochkochen mannhaften Widerstandsgeistes im Vorort, wo (wo noch?) heute noch der Vortrag der „Ode an Molotow“ möglich ist. Wir zünden an die Lunte aus Haß...
Ein vielschichtiger Abend, der immer wieder durch die körperliche Präsenz des Vortragenden intensiviert wurde. bu
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