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Zwischen die Blöcke geraten: die deutsch-deutsche Frage

„Wehrkundetagung“ der Nato lehnt Modrows Vorschlag für ein neutrales Gesamtdeutschland entschieden ab / Keiner weiß, was bis zum Tage X der deutschen Einheit passieren soll / Reicht die Nato bald bis zur Oder-Neiße-Grenze? / Drei Modelle diskutiert / „Legitime Sicherheitsinteressen Moskaus“ müssen berücksichtigt werden  ■  Aus München Andreas Zumach

Weitgehend bestimmt von der Diskussion über den politisch -militärischen Standort eines künftig vereinigten Deutschland wurde die „Wehrkundetagung“ am Wochenende in München. Völlig einig zeigten sich die 192 Verteidigungsminister, Sicherheitspolitiker, Militärs, Wissenschaftler und Geheimdienstler aus fast allen Nato -Staaten lediglich über die Ablehnung der von DDR -Ministerpräsident Modrow vorgeschlagenen Neutralität eines Gesamtdeutschlands.

Unter den bundesdeutschen Teilnehmern war allerdings aufgrund der Einladungspolitik des Veranstalters, der „Europäischen Gesellschaft für Wehrkunde“ nur das parteipolitische Spektrum von CSU bis SPD vertreten.

Unterhalb des Konsenses wurden für die längerfristige Zukunft in der Diskussion drei Hauptmodelle deutlich: die von Bundesaußenminister Genscher vorgeschlagene weitere Mitgliedschaft Deutschlands in der Nato ohne eine „militärische Ausdehnung“ der Allianz auf das Territorium der ehemaligen DDR; die von US-Senatoren, Unionspolitikern wie Alfred Dregger sowie bundesdeutschen Militärs befürwortete vollständige militärische Integration Gesamtdeutschlands in die Nato; sowie das von den SPD -Abgeordneten Bahr und Voigt vorgestellte Konzept einer künftigen Europäischen Sicherheitsstruktur, in der die beiden bisherigen Militärbündnisse keine Rolle mehr spielen. Jedoch konnten die Befürworter nicht erläutern, was kurzfristig nach den Wahlen in der DDR am 18.März und in der darauf folgenden Übergangsphase bis zur vollständigen staatlichen Einheit Deutschlands geschehen soll.

Bonner Regierungsvertreter machten am Rande der Tagung deutlich, daß die Genscher-Formel vor allem zur Beruhigung von Washington und Moskau gedacht ist und dahinter bislang kein detailliertes Konzept steht. Klar sei lediglich, worauf auch Bundesverteidigungsminister Stoltenberg hinwies, daß eine Vorverlegung von bislang in der BRD stationierten Truppen der USA oder anderer Verbündeter auf das Territorium der Ex-DDR „nicht in Frage kommt“. Ob, in welcher Stärke und mit welchem Status dann nationale deutsche Truppen östlich der bisherigen deutsch-deutschen Grenze stationiert werden, bezeichnete Stoltenberg ausdrücklich als „noch offen“. Es dürften allerdings „keine Zonen ungleicher Sicherheit entstehen“.

Bahr nannte das Konzept Genschers „völlig irreal“. Ein vereintes Deutschland in der Nato werde und könne es auch deshalb nicht geben, weil dann „nach der Dominoregel Polen, Ungarn und die CSSR ihre Aufnahme beantragen“ würden. Dann könne die Nato „sich nicht leisten, nein zu sagen“.

Aus künftigen Abkommen bei den Wiener Verhandlungen, so Bahr, werde sich eine „neue Sicherheitsstruktur für Europa ergeben“, in der die USA „eine Rolle spielen“ müssen. Der Anwesenheit von Truppen der USA und der Sowjetunion bedürfe es jedoch nur noch „für eine Übergangszeit“. Bahr erklärte, die militärische Stärke eines künftigen Deutschland sei wesentlich abhängig von den Wünschen und aus vergangenen Erfahrungen begründeten Sorgen seiner Nachbarn in Ost und West. Die Zahl deutscher Soldaten könne dann „irgendwo zwischen Null und 200.000 liegen“.

Gegen eine solche „Einschränkung der Souveränität“ Deutschlands wandten sich Dregger und indirekt auch der Generalinspekteur der Bundeswehr, Admiral Wellershoff. Dregger betonte, „die Bürger der DDR wollen in die Nato“. Durch die volle Integration des „nur 200 Kilometer breiten DDR-Territoriums“ in das westliche Militärbündnis ändere sich für die Sicherheitslage der „über 13.000 Kilometer tiefen UDSSR überhaupt nichts“.

Auf die Frage Bahrs, ob die bisherige Nato-Strategie der Vorneverteidigung aufrechterhalten werden solle und als Front künftig weiterhin die ehemalige BRD-DDR Grenze oder die Oder-Neiße-Grenze gelte, antwortete Wellershoff nur ausweichend. Die Front sei „immer da, wo Freiheit und Sicherheit der Deutschen bedroht sind“.

Vertreter aller Positionen sprachen sich ohne nähere Erläuterung für „die Berücksichtigung legitimer Sicherheitsinteressen Moskaus“ aus. Kanzlerberater Teltschik hielt es nicht für ausgeschlossen, daß Moskau zu der Einschätzung komme, ein in den Westen integriertes und eingebundenes Gesamtdeutschland entspreche sowjetischen Sicherheitsinteressen eher als ein unkalkulierbares Gesamtdeutschland. Aus Geheimdienstkreisen wurde am Rande der Tagung verbreitet, zu eben dieser Einschätung seien Gorbatschow und seine engsten Berater bereits gelangt.

Die Verteidigungminister Großbritanniens und Frankreichs'King und Chevenement, bestanden auf der künftigen Stationierung ihrer Truppen in Deutschland. Chevenement plädierte für die beschleunigte Schaffung einer westeuropäischen Verteidigungsgemeinschaft und bot an, die bisherige nationale Rolle der französischen Atomwaffen könne künftig erweitert werden. Präsident Bushs Sicherheitsberater Scowcroft und Kongreßmitglieder beider Parteien machten deutlich, daß „ein Herausdrängen der USA aus Europa“ auch den Abzug der atomaren Garantie zur Folge hätte.

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