KZ oder „ganz normales“ Kriegsgefangenenlager?

■ Im Heidedorf Sandbostel ist der Streit um das „richtige“ Gedenken entbrannt / Der Kreistag Rotenburg war für „Nichtbefassung“

Etwa 50 Kilometer nordöstlich von Bremen liegt das kleine Heidedörfchen Sandbostel. Ein Ort, der Schmuckstück jedes „Unser Dorf soll schöner werden„-Kataloges sein könnte: Die Bürgersteige akribisch gefegt, die Papierkörbe penibel geleert und die Rasenhöhe überschreitet nur selten die vereinbarte Höhe von einskommafünf Zentimetern.

Im Januar wurde diese Idylle jäh gestört: Da beantragten die Grünen im zuständigen Kreistag Rotenburg/Wümme die Errichtung einer Gedenkstätte für das Kriegsgefangenenlager Sandbostel. Zwischen 1939 und 1945 waren dort ca. zwei Millionen Kriegsgefangene untergebracht. Schätzungen aus unterschiedlichen Quellen ergeben, daß davon 8000 bis 50000 Menschen ums Leben kamen. Die im Kreistag mit absoluter Mehrheit regierende CDU erledigte den Antrag der Grünen zunächst durch „Nichtbefassung“.

Was spräche dafür, für Sandbostel eine Gedenkstätte zu errichten? Heike Treu, Abgeordnete der Grünen im Kreistag: „Dinge, die passiert sind, sollten vor Ort dokumentiert werden. Besonders angesichts des zunehmenden Rechtsradikalismus.“ Und Dr. Klaus Volland, Historiker: „Sandbostel war das größte Kriegsgefangenenlager im Raum Niedersachsen und Schleswig

Holstein. Dort sind, etwa im Vergleich zu Bergen-Belsen, einmalig viele Zeugnisse erhalten.“ Die CDU ist anderer Ansicht und streitet die überregionale Bedeutung Sandbostels rundweg ab. Im Ort sei lediglich ein „ganz normales“ Kriegsgefangenenlager gewesen. Und Joachim Behnken, Abgeordneter der CDU im Kreistag, meint, er hätte damals sogar viel Menschlichkeit bei den Wachleuten gesehen.

Internationaler Kontrolle nicht zugänglich

Was ist wirklich passiert? Im Kriegsgefangenenlager Sandbostel waren hauptsächlich russische und polnische Soldaten untergebracht: Sie wurden als Arbeitstiere mißbraucht, waren unterernährt, wurden gefoltert und umgebracht. Dafür verantwortlich war die Wehrmacht. Zugesehen und profitiert haben auch manche der um Sandbostel herum lebenden Menschen: auf den umliegenden Höfen wurden die Häftlinge als billige Arbeitskräfte eingesetzt.

Ein „ganz normales Kriegsgefangenenlager“ war Sandbostel auch deshalb nicht, weil das Lager nicht für internationale Kontrollorganisationen zugänglich war. Kurz vor dem Einmarsch der Alliierten wurde Sandbostel dann offiziell zum KZ umfunktioniert: Ca. 10000 Gefangene sollten

nach Auflösung des KZ Neuengamme und dessen Außenlagern nach Sandbostel umgelagert werden. 3000 Menschen überlebten den Transport, fast alle von ihnen starben später in Sandbostel durch die Behandlung der SS.

„Alleine hätte ich nicht zum Lager und auch nicht zum dazugehörigen Friedhof gefunden. Es gibt keinerlei Hinweisschilder,“ so Ruth Gröne, deren jüdischer Vater in Sandbostel ums Leben gekommen war. - Tatsächlich hatte die Sandbostel übergeordnete Samtgemeinde Selsingen das ehemalige Lagergelände 1976 zum Gewerbegebiet gemacht, das heute den romantischen Namen „Immenheim“ trägt.

Dr. Klaus Volland arbeitet seit zehn Jahren zusammen mit dem Historiker Werner Borgsen an einer Dokumentation zum Lager Sandbostel. Ihm zufolge hat der Landkreis Rotenburg/Wümme schon in den 50er Jahren begonnen, seine braune Vergangenheit zu vertuschen: Da wurde ein Denkmal abgerissen, auf dem russische Kriegsgefangene angegeben hatten, daß in Sandbostel 46000 Menschen umgekommen waren. Argument für den Abriß: Die Zahl der Opfer sei nicht erwiesen.

Haben der Kreis Rotenburg/Wümme oder die Samtgemeinde Selsingen überhaupt einmal ernsthaft versucht, die Ge

schichte des Lagers und die Zahl der Opfer herauszufinden? Dr. Volland zufolge nein. Im Gegenteil, die Samtgemeinde hätte versucht, ihn und Werner Borgsen „auszuhebeln“. Dazu sei eigens eine ABM-Kraft eingestellt worden.

Der Auftrag für die 1988 eingerichtete Stelle: Ausarbeitung einer Gegendokumentation zur Dokumentation von Dr.Klaus

Volland und Werner Borgsen. Eingestellt wurde der Historiker Christoph Dette aus Bremen. Ihm wurde deutlich gemacht, er solle sich bei seiner Dokumentation doch auf die allgemeine Kriegsgeschichte des Kreises konzentrieren und das Lager dabei nur am Rande behandeln. Christoph Dette wollte trotzdem die Geschichte des Kriegsgefangenenlagers erforschen und arbeitete mit

Dr. Klaus Volland und Werner Borgsen zusammen. Folge: „Herr Hesse wollte mich entlassen,“ so Christoph Dette zur Reaktion des damaligen Samtgemeindebürgermeisters. „Nur weil die Bezirksregierung Lüneburg inzwischen selbst an meiner Dokumentation interessiert war und mich unterstützte, konnte ich die Stelle behalten.“

Kathrin Schirwagen