piwik no script img

TROCKENE GEBURTSTAGSTRÄNE

■ Ein Symposion zum 65. von Johannes Agnoli in der FU

Erst jetzt können wir dieses zweitägige Ereignis vom Wochenende würdigen: unser Rezensent war in Denkkatatonie entschwunden. Geistig besoffen von so vielen trunkenen Worten, präsentierte er sich erst Tage später in lustloser Katerstimmung.

„Wir können nicht so weitermachen wie bisher! Oder?“ bricht ein Altvater aus.

Aber, aber. Benimmt man sich denn dergestalt zwanglos destruktiv auf einer Geburtstagsfeier? Noch dazu auf der eines 65jährigen Professors? Wäre es angesichts einer derartigen Jubiläumsveranstaltung nicht schicklicher, mittels gesetzter Worte das verstrichene Leben ein vorläufig letztes Mal wiederauferstehen zu lassen, auf das es vor dem inneren Auge der versammelten Veteranen als anspruchsvoller Slapstick vorbeiziehen möge?

Zu Ehren des Johannes Agnoli, Professor der Politischen Wissenschaften an der FU Berlin, zelebrierte sein Fachbereich ein zweitägiges Geburtstagssymposion. Statt der Torte gibt es Themen. „Was haben wir Hochschullehrer mit kritischem Anspruch in unserem Fach und für unser Fach geleistet? Bilanz nach zwei Jahrzehnten.“ Nach solcherart abgeleisteter Frage-und-Antwort-Stellung sollte es neugierig hinausgehen in die Welt, auf daß der Kategorienapparat diese seziere: „Wie verhalten wir uns angesichts der gegenwärtigen Situation in West- und Osteuropa politisch? In welcher Weise ist dieses Verhalten praktischer Ausdruck unserer wissenschaftlichen Positionen?“

Bedingt durch das sich am Rande des historischen Ereignisses auftürmende Meinungs- und Kommentargeröll versprachen Themenstellung und Teilnehmerliste des Symposions die Partizipation an einem wissenschaftlichen Höhenflug bei besten Sichtverhältnissen. Schließlich ... ja, schließlich war das Institut für Politische Wissenschaften der FU Berlin einstmals die maßgebende Institution für politisch linke Analyse; schließlich erschien Agnolis Parlamentarismuskritik „Transformation der Demokratie“ zu einem Zeitpunkt, als auf Demonstrationen gefordert wurde: „Teufel ins Rathaus!“ Und entsprechend jenem abgrundtiefen Mißtrauen gegenüber der parlamentarischen Demokratie war jene Parole anders gemeint, als sie sich dann mit dem Einzug des AL-Abgeordneten Fritz Teufel ins Schöneberger Stadtparlament - als späte Ironie der Geschichte erfüllte.

So mag es nicht verwundern, wenn man sich zu einer Zeit, da das Modell des bundesrepublikanischen Parlamentarismus quasi unbesehen dem kleineren Nachbarstaat als ultima ratio übergestülpt wird; zu einer Zeit, da auch die publizierende Linke fast unisono für eine Schadensbegrenzung der Revolution qua Wiedervereinigung optiert, um dem friedlichen Ausbluten der DDR mit dem Kohlschen Postulat vom freien Konsum als Menschenrecht abzuhelfen - daß man sich also in solch dürftiger Zeit ratsuchend an jene wendet, denen man ein anderes, vielleicht ein bißchen wilderes Denken zutraut. Schließlich hatte sich zum Agnoli-Symposion das nahezu komplette wissenschaftlich-kritisch-analytische Alphabet angesagt: von A wie Altvater bis Z wie Zeuner (Masculinum inbegriffen). Mitnichten Propheten, aber vielleicht doch die eine oder andere Stimme in der Wüste. Doch es kam - wie im richtigen Leben - wieder einmal alles anders.

Statt akzentuierter Stimmen ein nahezu ununterscheidbares Stimmengewirr. Statt einer streitbaren oder überhaupt einer Laudatio auf Johannes Agnoli selbstkritisch gemeinte Vorträge. Vorträge, die dann doch nur ein ratloses Selbstmitleid als Frage kaschierten: „Wie konnte es geschehen, daß die Hegemonie des politologischen und soziologischen Diskurses, die vor 20 Jahren bestand, verloren ging? Warum konnte der Zeitgeist später mit diesem Diskurs nicht mehr erfaßt werden?“ Eine Antwort unter wenigen anderen: „Es ist in den letzten 25 Jahren viel passiert in der Welt, und deshalb ist es mit der Theoriebildung schwierig geworden.“

Sicherlich, das ist jetzt drastisch montiert. Also lassen wir erst einmal 25 Jahre 25 Jahre sein und lassen die ergraute Herrenrunde sich der Gegenwart zuwenden: „Wir haben keine Vorstellung von einer marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaft, die nicht kapitalistisch ist.“ Daraus ergibt sich notwendig die philosophische Frage nach dem Grunde: „Ist der Wunsch nach Besitz von Privateigentum eine anthropologische Konstante?“ Diese wiederum ist momentan besonders schwer zu beantworten, denn „es ist zu wenig DDR-Forschung betrieben worden“.

Und das gehört schleunigst nachgeholt. Bevor wissenschaftliche Kaffeesatzäußerungen - „Ich glaube nicht, daß die DDR-SPD die Situation unter Kontrolle bringen kann“

-das Image vollends ruinieren. Also kann es nicht sein, daß es so nicht weitergehen kann. Nach wie vor müssen wir unser Augenmerk darauf richten, „daß sich das gesellschaftliche Bedürfnis über die Ware transformiert“, daß „sich Herrschaft immer ökonomisch vermittelt“, daß „die Kritik der politischen Ökonomie nach wie vor von hochgradiger Aktualität ist“. Nur müssen wir das nächste Mal darauf achten, „daß zeitgenössische Herrschaft nicht ausschließlich aus den Kapitalverhältnissen abgeleitet wird, da sonst keine angemessene Analyse der sozialistischen Staaten stattfinden kann.“ Ohne allerdings zu vergessen, „daß der Weltmarktzusammenhang zum Zusammenbruch der sozialistischen Systeme geführt hat“.

Kurzum, es muß studiert, parzelliert, gedacht und geforscht werden. Und so wird es wohl in vielen folgenden Universitätssemestern neue Seminarangebote zum Thema „Restauration der Deutschen Nation“ geben. Diese Seminare werden die gründlich erledigten Seminarthemen „Restauration der BRD nach 1945“ ablösen. Und die StudentInnen werden staunend den Ausführungen der Professoren lauschen, die erklären, wie die großen und kleinen Machtblöcke 1989 herumgerutscht sind, wer zu welchem Zeitpunkt welchen strategischen Feler gemacht hat, warum eine Linke handlungsunfähig oder verblendet oder beides zugleich war usw. usf. Und die StudentInnen werden dann denken: Donnerwetter, wenn wir das alles damals gewußt hätten, dann wäre es vielleicht doch noch anders gekommen, als es heute ist.

PS: Professor Agnoli, dem wir unter vielen anderen immerhin auch den schönen Satz von der Wissenschaft verdanken, die immer schwächer ist, als ihr Gegenstand, die Politik, hätte ein derart staubiges Fest nicht verdient. Und so sei ihm zumindest an dieser Stelle ein herzlicher Glückwunsch zum Geburtstag zugerufen.

G. Stern

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen