: Teufel Nato statt Beelzebub Neutralität?
In der Ablehnung einer deutschen Neutralität und dem Ziel einer neuen europäischen Friedensordnung jenseits der Blöcke sind sich die Grünen nahezu einig - doch welche Rolle die Nato auf dem Weg dorthin spielen soll, bleibt weiterhin umstritten ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski
Für die Parteivorständlerin Verena Krieger ist das Problem klar umrissen: Auf die „Entscheidung zwischen Teufel und Beelzebub“ - sprich deutsche Nato-Zugehörigkeit versus neutralem Einheitsstaat - dürfen sich die Grünen nicht einlassen. Die Parteilinke Verena Krieger ist strikt gegen eine Neutralität, wie sie DDR-Ministerpräsident Modrow im Falle einer Vereinigung vorschlägt. Die Herauslösung aus militärischen Bündnissen sei nämlich nicht gleichbedeutend mit einer Entmilitarisierung. Angesichts eines nicht abgelegten „Herrenmenschendünkels“ der Deutschen sei auch ein neutrales Großdeutschland eine „bedrohliche“ Perspektive. Der Verbleib in der Nato sei keinesfalls eine „friedenspolitische Alternative“.
Wo der rechte Weg liegt, muß wohl noch geklärt werden. Eine offizielle Position dazu, wie bei einer drohenden deutsch -deutschen „Sturzgeburt“ (Antje Vollmer) die militärischen Risiken einer neuen Zentralmacht in verträgliche Bahnen gelenkt werden können, existiert bisher noch nicht. Erst am kommenden Montag wollen Bundesvorstand und Vorstand der Bundestagsfraktion in einer gemeinsamen Sitzung unter anderem darüber beraten. Mit ihrem behäbigen Abstimmungsprozedere „dackeln“ (Pressesprecherin Anne Nilges) die Grünen mit ihrer Positionsbestimmung derzeit immer hinter der Entwicklung her. Der Streit um die künftige Rolle der Nato steht dabei im Mittelpunkt.
Gemeinsamkeiten zeichnen sich dennoch ab. Realos und Linke sind sich einig in der Forderung nach radikaler Abrüstung egal, ob in zwei deutschen Staaten oder in einem Einheitsdeutschland. Auch ein neutrales Deutschland lehnen sämtliche Parteiströmungen ab - bis auf den Wiedervereiniger Alfred Mechtersheimer, der die militärische Neutralität einer künftigen deutschen Republik als „historische Chance für ein friedliches Europa“ wertet. Konsens besteht auch im Ziel, die Frage des militärischen Status Deutschlands einzubetten in den Prozeß einer europäischen Friedensordnung, den alle Strömungen über eine KSZE -Konferenz in Gang setzen möchten. Welche Zwischenschritte auf dem Wege dorthin notwendig sind, bleibt allerdings umstritten.
Jürgen Schnappertz, Mitarbeiter der Bundestagsfraktion und realpolitischer Bündnisvordenker, hält eine Neutralitätsoption für „fatal“ und gleichbedeutend mit der Perspektive destabilisierender Schaukelpolitik einer unheilvollen Vergangenheit. Anders als die Parteilinke suchen die Realos die Rettung vor dem deutschen Revanchismus in der Nato-Zugehörigkeit - entgegen dem seit 1983 geltenden Austrittsbeschluß der Partei. Die Nato in Frage zu stellen, sei derzeit „schädlicher als nützlich“, meint Jürgen Schnappertz. Für ihn ist eine „politisierte“ Nato für eine „Übergangszeit“ bis zu einer neuen europäischen Friedensordnung eine Korsettstange für die Stabilisierung des Kontinents. Den Genscher-Vorschlag, wonach ein vereinigtes Deutschland in der Nato bleiben solle, ohne jedoch Truppen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zu stationieren, hält Schnappertz für „akzeptabel“ und für einen „europaverträglichen Kompromiß“.
Niedergeschlagen hat sich der Streit um die Nato im kürzlich vorgelegten Programmentwurf für die Bundestagswahl. Die linke Mehrheit in der Vorbereitungsgruppe verlangt die Auflösung der Nato und als Schritte dorthin den deutschen Nato-Austritt und die Auflösung der Bundeswehr. Dem Nato -Austritt verweigerten sich die Realos und die Vertreter des „grünen Aufbruchs“, also die Mittelströmung der Partei. Sie vertreten in einer „Globalalternative“ zwar auch die „aktive Auflösung“ der Nato, wollen ein defensiv gewandeltes Militärbündnis aber in den europäischen Umbauprozeß einbinden. Vorstandssprecher und „Aufbruch„-Vertreter Ralf Fücks hätte bei einer von ihm befürworteten Konförderation nichts gegen einen Verbleib von BRD und DDR in ihren jeweiligen Bündnissen, bis eine europäische Friedensordnung geschaffen ist. Allerdings sollen ausländische Truppen bis auf einen „symbolischen Rest“ abgezogen werden.
Die alte Forderung nach einem Nato-Austritt habe sich jedenfalls durch den in Gang gekommenen Prozeß der Abrüstung und Blockauflösung überholt, betont Fücks. Ein Austritt sei lediglich die „ultima ratio“, wenn dieser Prozeß nicht vorwärtskomme. „Alle empfinden, daß diese Fragen neu überdacht werden müssen“, will Fücks im Bundesvorstand beobachtet haben. Seine Vorstandskollegin Verena Krieger kann er wohl nicht meinen. Sie hält es für „Unsinn“, daß die Nato derzeit das „kleinere Übel“ sei. Der Nato die „militärische Legitimation entziehen“, und die „Destabilisierung des Bündnisses betreiben“ - darin sieht sie die anstehende Aufgabe.
Das zweite Machtzentrum der Partei, die Bundestagsfraktion, hält sich unterdessen aus dem Streit heraus. In den am Dienstag abend verabschiedeten Thesen zur Deutschlandpolitik fehlt das Reizwort Nato ganz. Dort findet sich nur ein Verweis auf die Notwendigkeit einer neuen Friedensordnung im Rahmen der KSZE. Welche Position sich in der Partei durchsetzt, wird sich erst Ende März zeigen. Dann werden die Delegierten auf dem Programmparteitag in Hagen darüber abstimmen.
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