„Die Autorität der Partei ist auf einem Tiefststand“

B. Kobrin ist Chefredakteur der 'Demokratischen Plattform‘, Organ der Gruppe „Demokratische Plattform“ in der KPdSU  ■ I N T E R V I E W

taz: Welche Möglichkeiten hat ein solches Plenum eigentlich rein formal, die innerparteiliche Struktur zu ändern.

Boris Kobrin: Genaugenommen nur das Recht, das Programm zu beschließen. Außerdem kann ein neues Parteistatut verabschiedet werden, was allerdings, dem Vorschlag Gorbatschows zufolge erst auf dem nächsten Plenum in drei oder vier Wochen geschehen wird. In der Frage der innerparteilichen Wahlen drängen die Massen in der Partei darauf, sich hier - wenn nötig auf dem Umweg über ein innerparteiliches Referendum - für geheime Wahlen in den Grundorganisationen zu entscheiden. Die Konservativen hingegen meinen, daß wir uns, als Mitglieder eines Rechtsstaates, an die vorgegebenen institutionellen Formen halten müssen.

Was nun die Selbsterneuerung des ZK betrifft, so sind hier nur zwei Möglichkeiten gegeben, einmal das Ausscheiden von Mitgliedern aus Altersgründen; zum anderen die Erneuerung aus den Reihen der „Kandidaten des ZK“, wobei deren Mehrheit nicht weniger konservativ ist als die des ZK. Gorbatschow hat offenbar in seiner Plattform auch die Kooptation neuer ZK-Mitglieder zwischen den Parteitagen vorgesehen, aber ich halte dies für eine der antidemokratischsten Lösungen, auf die man überhaupt kommen kann.

Warum zeigen sich die Konservativen gegenüber den Reformen so entgegenkommend, warum spricht sich sogar Ligatschow für die Abschaffung von Artikel 6 aus?

Man müßte schon ein sehr kühner Konservativer sein, um aufzustehen und zu sagen: „Ich bin gegen Reformen, ich bin gegen die Existenz mehrerer Parteien, ich bin gegen die Demokratisierung.“ Solche Leute gibt es heute schon kaum mehr. Statt dessen maskiert man sich auf alle mögliche Weise. Wenn ich Ligatschow richtig verstanden habe, spricht er sich auch gar nicht für eine direkte Abschaffung von Artikel 6 aus, sondern für dessen Änderung. Auch unter der Abschaffung verstehen die Konservativen offenbar einen rein formalen Schritt und nicht die vollständige Liquidierung der bisherigen Rolle der Partei in den gesellschaftlichen Institutionen, die wir fordern.

Wie groß ist die Gefahr einer Spaltung der Partei?

Diese Möglichkeit besteht wirklich. Wohl in keiner Partei der Welt haben so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Ligatschow und Jelzin gleichzeitig Platz. Unsere gesamte Plattform bekennt sich offen zu sozialdemokratischen Prinzipien, wir sind gegen die „Diktatur des Proletariats“ und stellen die allgemeinen Menschenrechte über jegliche Klasseninteressen.

Kann man sagen, daß Gorbatschow auf dem Plenum diese Spaltungsgefahr gegen die Konservativen ausspielt?

Seinem Eingangsvortrag und seiner Plattform zufolge versucht er, sich weiterhin an eine zentrale Linie zu halten. Er hat mehrmals jähzornig reagiert, als ihm Gesprächspartner Positionslosigkeit vorwarfen. Einmal sagte er sinngemäß: „Ihr werft mir vor, daß ich zwischen zwei Stühlen sitze, aber warum gesteht ihr mir nicht meinen eigenen Stuhl zu?“

Aber auch mit einem eigenen Stuhl kann man noch hin und her rutschen, was Gorbatschow zur Zeit praktiziert. Ich wünschte mir von ganzem Herzen, er möge verstehen, daß die einzige Rettung für die Partei und das ganze Land in einer linkszentristischen Koalition bestehen kann.

Interview: BK