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Lieber Turnhalle als Bunker

■ Konflikte zwischen Übersiedlern in der Wilhelm-Leuschner-Turnhalle vor allem zwischen alt und jung

Scharlach hat es in der übersiedler-belegten Schul-Turnhalle in der Wilhelm-Leuschner-Straße zum Glück nicht gegeben. „Die Kinder hatten nur eine schwere Grippe“, erzählt Ekkehard R., einer der rund 50 Erwachsenen und 25 Kinder, die hier ihre erste neue Heimat im Westen fanden. Seit knapp zwei Wochen leben sie in diesem provisorischen Bettenlager. „Die Stimmung ist gut hier“, erzählt Ekkehard R. Ein 48jähriger Familienvater nickt zustimmend. „Wenn Sie was schreiben wollen, dann loben Sie mal unseren Betreuer vom Malteser Hilfsdienst.“ Kopfnicken bei den Umstehenden.

Besagter Helfer hat seine Schäfchen anscheinend gut im Griff: Dankbar registrieren die Übersiedler, daß „unserer morgens und abends vorbeikommt und sich für alle Sorgen und Nöte interessiert.“ Der Malteser schreibe sich alle Fragen auf, auch mit Behörden und so. „Die 200 in den Bunkern sind ja viel schlimmer dran. Da kommt nur einmal am Tag einer vorbei“, wissen die Turnhallenbewohner zu berichten. Nein, gesprochen hätten sie noch mit keinem der Bunker-Bewohner. Einer schreibt dem Malteser-Helfer die Urheberschaft der Bunker-Story zu. Sie geben sich zufrieden, daß es ihnen besser geht als den vermeintlich anderen.

Es ist Mittagszeit. Die meisten haben sich unter die Bettdecken vergraben. Einige sitzen gerade beim Essen. „Das läuft hier auch ganz gut. Wir essen halt in Schichten.“ Nein, Verpflegung werde ihnen nicht gebracht. „Dafür hat jeder selbst zu sorgen.“ Es

gibt zwei Kochplatten. „Für eine dritte reicht der Strom nicht, dann fliegt die Sicherung raus.“ Nur eine Steckdose elektrifiziert das 76-Menschen-Heim.

Deshalb kann auch nur außerhalb der Essenszeiten der Fernseher laufen. „Für die Kinder ist es ganz schwierig. Die Jugendlichen hier wollten sie nie gucken lassen.“ Die Frau, die den Fernseher per Unterschrift und 100 Mark Pfand bei einem Mitarbeiter der Sozialen Dienste privat ausgeliehen hat, nahm das Gerät kurzerhand unter Verschluß, in „ihre Ecke“. „Mann, die hat ja vielleicht was an der Scheibe“, mault einer der Jugendlichen lautstark vor sich hin. Türen knallen. „Die

haben keine Ahnung, was Eigentum bedeutet“, kommentiert Ekkehard R. Und der Familienvater, der ab Montag von der Turnhalle aus zu seiner neuen Arbeitsstelle in die Neustadt fährt, erzählt: „Mein neuer Chef hat zwei von denen eingestellt und nach zwei Tagen wieder entlassen. Die können sich nicht unterordnen. In unseren VEB-Betrieben haben die doch zum größten Teil gemacht, was sie wollten.“

Der Mann ist Dreher und Vater von sechs Kindern. „Für mich war drüben Schluß, als sie mir vom Nachbargrundstück aus das Wasser abgedreht haben.“ Dies war an einem Freitag, und der Bürgermeister wollte sich erst ab

Montag kümmern: „Ich konnte meinen Kinder noch nicht mal mehr was kochen.“ Nach dem Umsturz gehe alles drunter und drüber, erzählt er. In den Betrieben will keiner mehr arbeiten. In den Behörden werde man nur noch vertröstet. Seine Bauanträge wurden erst gar nicht mehr bearbeitet. Ob er den angefangenen Sanierungs-Um- und Aufbau seiner Wohnung auf LPG-Grundstück je zu Ende bringen kann, schien fraglich. „Und da haben wir mit den sechs Kindern auch auf 2 1/2 Zimmern gewohnt. Da machen uns vier Wochen Turnhalle auch nix mehr aus. Aber hier geht es irgendwann wenigstens weiter.“

ra

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