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Mit Mandela in den nationalen Dialog

■ Südafrikas weiße Minderheit setzt hohe Erwartungen in mäßigenden Einfluß des Symbols / Von Hans Brandt

Für ultrarechte weiße Südafrikaner der nach wie vor meistgehaßte „Terrorist“, für die unterdrückte schwarze Bevölkerungsmehrheit seit Jahrzehnten Symbolfigur: Nelson Mandela, prominentestes Mitglied des „African National Congress“ (ANC), ist seit gestern ein freier Mann. Die Freilassung gilt als Schlüsselereignis im Prozeß der Abschaffung der Apartheid. Die Regierung hofft, über den Einfluß Mandelas die gemäßigtere Anti-Apartheid-Opposition an den Verhandlungstisch zu locken und ihre radikalen Mitglieder zu isolieren.

„Ich bestreite keineswegs, daß ich Sabotageakte geplant habe. Ich plante sie jedoch nicht leichtfertig, oder weil ich etwa in die Gewalt verliebt bin. Sie waren vielmehr das Ergebnis einer kühlen und nüchternen Einschätzung der politischen Lage, die nach so vielen Jahren der Tyrannei, Ausbeutung und Unterdrückung, die mein Volk von den Weißen zu erdulden hatte, entstanden war (...). Alle legalen Möglichkeiten, seine Opposition gegen die weiße Vorherrschaft zum Ausdruck zu bringen, waren durch die Gesetzgebung versperrt worden, und man drängte uns dadurch in eine Position, in der wir entweder unsere Minderwärtigkeit als Dauerzustand akzeptieren oder der Regierung die Stirn bieten mußten. Wir wählten den Kampf gegen die Regierung.“

Mit diesen Worten begründete Nelson Mandela 1964 vor dem Obersten Gericht in Pretoria, warum er Mitbegründer und einer der wichtigsten Führer der Befreiungsarmee des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), „Umkhonto we Sizwe“ (Speer der Nation“) wurde. Mandela hatte zu diesem Zeitpunkt schon zwei Jahre wegen Aufwiegelung im Gefängnis verbracht. Nun drohte ihm und den anderen Angeklagten wegen Sabotage die Todesstrafe.

Die Strafe fiel „milder“ aus - lebenslängliche Haft auf der Gefängnisinsel Robben Island bei Kapstadt. 26 Jahre lang war Mandela zum Schweigen verurteilt, auch wenn er indessen auf der politischen Bühne immer mehr an Ansehen gewann. Seine Ansichten haben sich in der Zeit nicht geändert: In einem Brief, den Mandela Mitte 1989 der Regierung übergab, hieß es: „Das weiße Südafrika muß die einfache Tatsache akzeptieren, daß der ANC den bewaffneten Kampf nicht suspendieren und schon gar nicht aufgeben wird, bis die Regierung ihre Bereitschaft demonstriert, ihr Machtmonopol aufzugeben und direkt und glaubwürdig mit anerkannten schwarzen Führern zu verhandeln.“

Die Analyse ist dieselbe, die Situation hat sich vordergründig - nicht verändert. Doch 1964 sprach Mandela als der von den weißen Südafrikanern am meisten gehaßte „Terrorist„; 26 Jahre später wird er von der Regierung als Vermittler zwischen der schwarzen Mehrheit und den Weißen hofiert. Als Gefangener wurde Mandela vom ANC gezielt als Symbolfigur aufgebaut. Gleichzeitig konnte die Organisation beachtliche diplomatische Erfolge erzielen. Die Tatsache, daß fast alle afrikanischen Länder in den sechziger und siebziger Jahren die Unabhängigkeit von ihren Kolonialherren erreichten, in Südafrika eine weiße Minderheit jedoch verbissen an der Macht festhielt, machte den Kampf des ANC zu einem dringenden Anliegen des gesamten Kontinents. In letzter Zeit hat vor allem durch die Verhängung von Wirtschaftssanktionen der Druck westlicher Länder auf Südafrika dazu beigetragen, daß die Regierung unter Präsident Frederick de Klerk nun zu Gesprächen mit der schwarzen Mehrheit bereit ist.

Doch nicht nur internationaler Druck hat seit 1964 das Machtverhältnis in Südafrika entscheidend zugunsten der Schwarzen verschoben. Der bewaffnete Kampf des ANC hat die Regierung bisher zwar nicht erschüttern können, doch als „bewaffnete Propaganda“ haben die zahlreichen Sabotageangriffe dem ANC immer mehr Anhänger gebracht: Nach den Schüleraufständen von Soweto 1976 flüchteten Tausende ins Exil, um sich dem ANC anzuschließen. Walter Sisulu, ein enger Vertrauter Mandelas und ehemaliger ANC -Generalsekretär, war nach seiner Freilassung im Oktober 1989 von der Zahl jugendlicher ANC-Anhänger überrascht. „Wir sind überwältigt von diesem Empfang“, sagte er vor jubelnden Anhängern in Soweto. „Die Bewegung hat sich auf eine Weise entwickelt, die wir nie erwartet hatten.“

Das Ansehen Mandelas reicht allerdings weit über „die Bewegung“, über den ANC und die ihm nahestehenden Organisationen hinaus. Auch der konservative Zulu-Führer Mangosuthu Buthelezi, dessen Anhänger sich seit mehr als drei Jahren in der Provinz Natal blutige Kämpfe mit ANC -Sympathisanten liefern, sieht in Mandela einen der wichtigsten Führer Südafrikas. Als Häuptlingssohn des im Homeland-Reservat Transkei angesiedelten Xhosa-Stammes genießt Mandela zudem auch hohes Ansehen unter seinen traditionsbewußten Stammesgenossen, die sonst politisch eher desinteressiert sind.

Auch Anhänger des „Panafrikanischen Kongresses“ (PAC), der in den fünfziger Jahren durch Abspaltung vom ANC entstand, achten Mandela. Viele PAC-Führer kennt Mandela nicht nur aus jener Zeit, sondern auch als ehemalige Mitgefangene. Nicht zuletzt unter Weißen hat sich das Image Mandelas über die Jahre verändert; für ultrarechte weiße Gruppen ist er zwar immer noch der verhaßte „Terrorist“. Doch sie haben seine Bedeutung begriffen, und es besteht eine reelle Gefahr, daß Mandela Ziel eines Attentatversuches werden könnte; ironischerweise wird die Regierung, die ihn jahrelang im Gefängnis bewachte, auch nach seiner Freilassung über ihn wachen müssen. Unter liberalen weißen Politikern und Geschäftsleuten, aber auch bei breiten Schichten der weißen Bevölkerung gilt Mandela als gemäßigter schwarzer Nationalist. Man hofft, daß er die radikaleren Wünsche linker ANC-Mitglieder im Zaum halten kann. Und auf internationaler Ebene ist die Freilassung Mandelas inzwischen zum Schlüsselereignis im Prozeß der friedlichen Abschaffung der Apartheid geworden.

Diese hochgeschraubten Erwartungen sind nicht nur für Mandela selbst problematisch. Auch der ANC, dessen wichtigstes Mitglied Mandela ist, muß sich entscheiden, wie dieser Mann wieder in die Organisation integriert werden kann. Da sich ANC-Präsident Oliver Tambo noch immer von einem Schlaganfall erholt und nicht sicher ist, ob er das Amt wieder übernehmen kann, ist Mandela als nächster Präsident im Gespräch. Aber das würde ihn sehr stark mit der Organisation identifizieren, würde ihm die Türen zu Buthelezi oder zum PAC verschließen. Andererseits betont Mandela selbst, daß er nach wie vor loyales Mitglied des ANC ist.

Aber der ANC von 1990 ist nicht mehr die Organisation aus dem Jahre 1964: ANC-Führer befinden sich seit 30 Jahren im Exil. Sie sind inzwischen eher moderne internationale Politiker und kluge Diplomaten als Aktivisten einer Massenbewegung. „Umkhonto we Sizwe“ ist inzwischen zu einer Armee mit mehreren tausend Soldaten herangewachsen. Da gibt es erhebliche Spannungen. Viele ANC-Kämpfer beschweren sich, daß sie hochausgebildete Kämpfer sind, aber nie die Möglichkeit hatten, in Südafrika zu kämpfen. Sie würden lieber auch jetzt noch gegen das weiße Regime kämpfen, statt sich mit der Regierung an den Verhandlungstisch zu setzen.

Auch in den anderen Oppositionsorganisationen, allen voran die Gewerkschaftsföderation COSATU und die Vereinigte Demokratische Front (UDF), werden die Vorbereitungen zu Verhandlungen mit der Regierung nicht bedenkenlos unterstützt; diese Gruppen werden von jungen Aktivisten geleitet, die oft erst in den fünfziger Jahren geboren wurden. Ihre politischen Erfahrungen und zum Teil auch ihre Ziele decken sich nicht ohne weiteres mit denen Mandelas. Mandela selbst betont zwar seine Mitgliedschaft im ANC. Doch wie der Brief an die Regierung, der den derzeitigen Annäherungsprozeß in Gang setzte, zeigt, ist er sich seines Einflusses bewußt und gegebenenfalls bereit, unabhängig vom ANC zu handeln. Die Versuchung dazu kann nach seiner Freilassung nur noch wachsen. Die Regierung wünscht sich, über Mandela die gemäßigteren Teile der Anti-Apartheid -Opposition an den Verhandlungstisch zu locken und damit gleichzeitig die radikaleren Mitglieder zu isolieren.

„Ich habe immer am Ideal einer demokratischen Gesellschaft festgehalten, in der alle harmonisch und mit gleichen Möglichkeiten zusammenleben“, sagte Mandela zum Abschluß seiner Verteidigungsrede 1964. „Diesem Ideal widme ich mein Leben und hoffe, es Wirklichkeit werden zu sehen.“ Mit seiner Freilassung ist das Ideal Mandelas und das Ideal von Millionen von Menschen in Südafrika allerdings noch nicht erreicht. Mandela wird seinen lebenslangen Kampf fortsetzen müssen. Die Gefahren, die ihm dabei drohen, sind jetzt vielleicht größer als je zuvor.

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