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Wollt ihr den totalen Frieden?

Berlin und seine olympischen Wiedergutmachungsspiele  ■ K O M M E N T A R

Zur Erinnerung. Fast ist es peinlich, es überhaupt noch einmal sagen zu müssen: 1936 waren die letzten Olympischen „Spiele“ in Berlin. Und da die Spiele nie zuvor und niemals danach so ernst waren, müssen es auch die letzten bleiben, jedenfalls an diesem Ort. Die Olympiade 1936 als gigantisches Integrationsspektakel, Selbstinszenierung des nationalsozialistischen Staates, als Triumph deutscher Organisationsfähigkeit, als totales Theater des wiedergeborenen Deutschlands, als realitätsfernes Ablenkungsmanöver - die Hauptstadt des Dritten Reiches im Festrausch: das bedeutet ein für alle Mal „Olympia“ in Berlin.

Und auch im Jahr 2004 ist hier ja nicht einfach ein sportliches Ereignis geplant. Ähnlich wie 1936 sind auch diese „Spiele“ - schon jetzt - im allerhöchsten Maße mit politischer Symbolik aufgeladen. Nur, daß das einfache Schema, nach dem solche Veranstaltungen zwangsläufig immer funktionieren, die Vorzeichen lediglich umkehrt: was früher böse war, soll jetzt gut werden - was die Sache nicht besser macht, im Gegenteil.

Nachdem die Olympiade 1936 in den totalen Krieg mündete, soll die neuerliche nicht nur wiederum deutschen Aufbaugeist und Neuanfang, sondern vor allem den totalen Frieden inszenieren, als ließe sich das eine durch das andere womöglich noch sanft, lustvoll und alternativ, mit aufrichtiger Drittweltliebe und dezentraler Eröffnungsveranstaltung, wie sie jetzt vorgeschlagen wurde einfach so wegmachen. Eintritt höchstens das völlige Vergessen - und auch das ist bereits vollzogen, und zwar seit dem Moment, in dem alternativer Größenwahn die erste technokratische „Machbarkeitsstudie“ in Auftrag gegeben hat und sich damit jedes Nachdenken erübrigt hat.

Die „Operation Olympia 2004“ komplettiert, multipliziert und inszeniert die übrigen Maßnahmen zur Erledigung der Deutschen Geschichte wie Hauptstadttaumel und Wiedervereinigung. Sie beendigt und begräbt feierlich die lästigen Erinnerungen der leidigen (Nach-)Kriegszeit, auf daß fortan nur noch Aufbau sei!

Zur Erinnerung? Ja, es ist wirklich peinlich, überhaupt darauf hinweisen zu müssen.

Gabriele Riedle

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