: Die Kunst, ein Filmkritiker zu sein
■ „Les Sieges de l'Alcazar“ von Luc Moullet im Forum des jungen Films
Filmkritiker sind dumm, eingebildet und geizig. Ihre Wichtigkeit versuchen sie während der Vorführung stets dadurch zu unterstreichen, daß sie unter Verwendung eines auffälligen Leuchtstifts ständig Belanglosigkeiten auf kleine Zettel kritzeln.
So jedenfalls hat Luc Moullet, selbst Kritiker bei den Cahiers du Cinema und anderen Zeitschriften, sich und seine Kollegen liebevoll porträtiert.
Die Sitze des Alcazar, eines schmuddeligen Vorstadtkino, spielen dabei eine wichtige Rolle.
Guy, Kritiker der Cahiers, setzt sich grundsätzlich in die erste Reihe, dort, wo sonst nur Kinder Platz nehmen. Jedesmal gibt es deswegen Streit mit den schrulligen Kinobesitzern, die ihm einen hinteren, teureren Platz aufschwatzen möchten.
„Mehr Geld ausgeben für ein kleineres Bild? Nie im Leben!“ erwidert der Filmkritiker. Doch als er mit dem Erhalt einer „grünen Karte“ ( freier Eintritt) endlich im Kastensystem der Journalisten aufsteigt, setzt er sich prompt auf einen Logenplatz.
Mit der schönen Kollegin vom Konkurrenzblatt Positif liegt er im Clinch, weil er den italienischen Regisseur Vittorio Cottafavi mehr liebt als Antonioni.
„Les Sieges de l'Alcazar“ ist eine kleine Hommage an das klassische Genre-Kino, wie es in den Pariser Vorstädten existierte, wo meist nur zweit- oder drittklassige Regisseure aufgeführt wurden.
Den knauserigen Kinobesitzern sind die Filme, die sie zeigen, ziemlich egal. Scheint ihnen einer zu lang, lassen sie einfach eine Rolle weg.
Vor jeder Pause wird die Heizung ordentlich aufgedreht, damit die Gäste möglichst viel Eis verzehren, und am Ende jeder Vorstellung sammeln sie die abgerissenen Karten vom Boden auf und kleben sie wieder zusammen, um sie beim nächstenmal noch einmal zu verkaufen.
Moullets kurze Geschichte - sie dauert nur angenehme 52 Minuten lang - ist eine willkommene Abwechselung im bedeutungsschweren Festivalprogramm. Vor allem für uns KritikerInnen, die nie ihren Leuchtstift vergessen.
Ute Thon
Die Sitze im Alcazar von Luc Moullet, Frankreich 1990. Mit: Oliver Maltinti und Elisabeth Moreau. 52 Minuten
Leider nur noch im Filmmarkt zu sehen
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