: Demo für die D-Mark
■ Leipziger Montagsdemo als Wahlkampf / Alle sind für D-Mark und Wiedervereinigung / Sachsen soll Bundesland werden
Leipzig (taz) - Sachsen ein Bundesland und die D-Mark als Erstwährung. Das ist der Konsens, unter dem etwa Dreißigtausend am Montag abend in Leipzig für ein „Deutschland, einig Vaterland“ und die sofortige Einführung der sozialen Marktwirtschaft demonstrieren. Schwarz-rot-gold bestimmt das Bild: auf Fahnen und selbstgestrickten Mützen, auf Plastiktüten und Umhängetaschen.
Anders als in den Wochen zuvor dominiert der Wahlkampf in der Sachsenmetropole, der „Heldenstadt der DDR“. Die „Allianz für Deutschland“ verteilt von einen Lieferwagen vierfarbige Hochglanzbroschüren. Parole: „Nie wieder Sozialismus“. Am Stand der LDP ertönt Disko-Rock und die SPD (Ost) wirbt mit dem alten Schlager „Locomotion“ um die Gunst der DemonstrantInnen. Verteilt über die Innenstadt treffen sich kleine Grüppchen an Fahrzeugen mit West-Kennzeichen, aus denen Wahlkampfmaterialien für die DDR-Parteien verteilt werden.
Zu Beginn der Kundgebung ertönt das Deutschlandlied. Anschließend verkünden die Redner unisono, daß nur noch „die soziale Marktwirtschaft ohne Wenn und Aber“ die DDR vor dem Verfall retten kann. „Faktisch vollzogen“ ist die Einheit auch für den Vertreter des Neuen Forums. Unter dem brausenden Beifall fordert er, die Parteien nicht mehr am „Ob“, sondern am „Wann und Wie“ der Wiedervereinigung zu messen. Stille Drohung auch auf einem Transparent: „Kommt die D-Mark, bleiben wir - Kommt sie nicht, geh'n wir zu ihr.“
Premiere hat die Partei der „Mitteldeutschen Nationaldemokraten“. Für das Pendant der westdeutschen NPD reklamiert ein Bürschlein, kaum dem Stimmbruch entronnen, die „Wiedergeburt Deutschlands“ in seinen „völkerrechtlichen Grenzen“ - gemeint sind die von 1937. Ebenso wie etwa 50 Leipziger „Republikaner“, die auf Transparenten „Fremde Truppen raus aus der BRDDR“ fordern, stößt der mitteldeutsche Jüngling auf Protest und Unverständnis. Die seltsame Losung, die den Rechtsradikalen entgegenhalten wird: „Deutschland den Deutschen - Nazis Raus“.
Als der Demonstrationszug vom Karl-Marx-Platz (jetzt „Platz der Freiheit“ genannt) über den Altstadtring zieht, hält am Ende eine kleine Gruppe einsam eine DDR-Fahne hoch. Auf dem Transparent der „Linken Jugend“ prangt ein Mülleimer, daneben heißt es: „DDR, bitte nicht wegwerfen“. Die Jugendlichen werden heftig beschimpft, als könnten den Zug zur Wiedervereinigung noch aufhalten. „Stalinkinder“ und „Rote aus der Demo raus“ sind noch die harmloseren Unmutsäußerungen.
Wolfgang Gast
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen