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VOR UNS DIE BILDERFLUT

■ Kuprac, A & O und die Light-Band-Galerie performen Kunstmeile

Am Freitag der letzten Woche wurden bei Kuprac Gero Künzel und Sangare Siemsen und ihre Arbeiten selbst dem geneigten Westberliner Publikum vorgestellt. Klein hinter die schreiend rosa Einladung zur Eröffnung war eine Kopie des Galerienstadtplans aus dem Berliner Kunstblatt geheftet. Ein wackliger Strich darauf führte von der Galerie „Ismus“ in die Wiener Straße - dort wurde am Tag der schönsten Mondfinsternis mit den Arbeiten von Nowacki Dünkelmann „Totale Sonnenfinsternis“ getitelt - über Kuprac in der Graefestraße in die Urbanstraße, wo er in einem Kreuzchen für die Hausnummer 70 endet. Hier befindet sich eine Diskothek, die früher „Hoppla Sir“ hieß. Nach der Neueröffnung vor wenigen Wochen nun trägt sie den kulturträchtigeren Namen „Calypso“. Dahin lud A & O am gleichen Tag „freundlich zu einem Tänzchen um den heiligen Bildschirm“, der auf die Video-Reihe „Augenfutter/Bilderfresser“ einstimmen sollte.

A & O hat sein eigentliches Domizil 100 Meter neben Kuprac auf der östlichen Seite der Graefestraße aufgeschlagen, wo sich seit Dezember letzten Jahres auch noch die Light-Band-Galerie angesiedelt hat. Männer machen das Management und wollen sich nicht als Galeristen im herkömmlichen Sinn verstanden wissen. Alle drei geben sich geheimnisvoll. Denn was hinter den Schaufenstern wirklich betrieben wird, ist den Läden auf den ersten Blick nicht anzusehen.

Hinter der großen Scheibe von Kuprac bilden ein kleiner Fernseher, Kinderspielzeug, diverse obskure Objekte und ein mächtiger Schreibtisch mit Computer einen Guckkasten, dessen tiefere Bedeutung den Vorüberziehenden verborgen bleibt. Nachts sind die wenigen Quadratmeter in blaues Licht getaucht, und neuerdings winken den Fremden schon von ferne bunte Leuchtstoffröhren, die wie ein Zunftzeichen an der Außenwand angebracht wurden. In der Seitenwand des Schaufensters stapeln sich derzeit noch die Porträts von Künzel, die sich ganz aus ausgedrückten Tubenfarben aufschichten - „Meisterschüler bei Prof. Bernhard Heisig“ steht auf der Ausstellungsliste mit Ausrufezeichen.

Wolfgang Dressler, der Kuprac seit fünf Jahren betreibt, stören die Bilder. Seitdem sie hingen, kämen kaum noch Besucher, behauptet er. Sie passen nicht in das Programm des Unternehmens, das „kreatives Experimentieren im interdisziplinären Spektrum, natürlich multikulturell, quotengeregelt, kinderfreundlich; grenzüberschreitende zufallsbeeinflußte Konzeptrealisation“ beinhaltet und sich nur „relativ“ an Qualität orientiert. „Politdesign“ statt Bilder fordert Wolfgang Dressler. Von denen gäbe es in den unzähligen Galerien mehr als genug. Deshalb ist er froh, daß die Bilder der beiden Maler aus der DDR 50 Meter die Straße hinunter in die Light-Band-Galerie weiterwandern, in den multifunktionellen Laden für Halogenleuchten, Galeriebedarf und -betrieb, Möbeldesign und Innenausbau. Dort werden sie dann ordentlich hängen.

Damit ist Wolfgang Dressler seiner Aufgabe als Agent und Multiplikator gerecht geworden. Sein Laden soll nicht Galerie sein, sondern Büro, Salon und offene Aktionsfläche, auch schon einmal Depot für Geburtstagsgeschenke. Musiker, Schriftsteller, Zeitschriftengründer und Maler geben sich die Klinke in die Hand. So entstehen neue Verbindungen, und Dressler weiß über die Nachbarschaft genau Bescheid. Einmal plante er, die unglücklichen Liebesgeschichten aus den Häuserblocks ringsum aufzuschreiben und miteinander vermischt im Schaufenster aufzuhängen. Ganz wahrheitsgetreu könnte nebenbei eine Kartei für böse LiebhaberInnen entstehen. Bei neuen Bekanntschaften braucht nur abgerufen zu werden, ob gegen die betreffende Person schon etwas vorliegt.

Die Idee schlug wie viele andere nicht durch. Als Grund führt Wolfgang Dressler seine Skrupel an, knallhart auf den Markt zu gehen. Mit seinen Pappmöbeln, die noch am vorigen Wirkungsort in der Dresdener Straße entstanden waren, gingen clevere Leute in die Produktion. Das ärgert den Erfinder zwar, aber nicht richtig. Wichtiger als der eigene Gewinn ist ihm die Förderung anderer. Ihm schwebt seit längerem eine Stiftung vor, die 300 Kreuzberger KünstlerInnen monatlich mit 2.000 DM unterstützt. In solch einem Experiment ließe sich schön beobachten, ob und wie sich die Finanzierung auf das Schaffen auswirke. Soziologen, Kunsthistoriker und Kritiker könnten den Versuch begleiten. Eine Menge Arbeitsplätze würden so entstehen. Und das Geld? „Es gibt doch genug Geld auf dieser Welt!“

Obwohl es „in dieser bedeutungsschwangeren Zeit auf unserer Seite nicht leicht ist, Unternehmen mit Perspektive zu entwickeln“, wird bei Kuprac derzeit „tatkräftige Initiative für Orte kultureller Begegnung“ ergriffen. Einer Sperrfrist unterliegen die Informationen über ein Projekt der „Nach-Momper-Ära“ an einem Ort in Westdeutschland, an dem im November 100 Berliner KünstlerInnen auftreten sollen. Aber am 17. Februar sollen parallel zu der Ausstellungseröffnung in der Light-Band-Galerie schon einmal mehr als 40 Darsteller mit einer Überraschungsperformance auftreten.

Zur gleichen Stunde führt 100 Meter weiter nördlich A & O eine Auswahl experimenteller Videos aus Berlin vor. Unter dem Titel „A love affair between art and video“ fragt das Institut für „Konzeptionelle Wahrnehmungssysteme“, was passiert, wenn Maler ihre Pinsel beiseite legen und ihre Bilder mit der Kamera produzieren. Die Reihe, die von Mike Steiner und art quake! zusammengestellt wurde, zeigt: Sie malen weiter.

Andre, der mit dem heftig pinselführenden Wolfram Odin den Laden leitet, malte Akte, bevor er die Kamera zur Hand nahm. Es hatte sich als Quatsch erwiesen, immer weiter Menschen abzubilden, wo es doch längst mehr Bilder von Menschen als Menschen selber gibt. Also entschloß Andre sich, Bilder von Bildern zu machen. In seinem Video „scratch back“, dem japanisches Bildmaterial zugrunde liegt, tastet das Instrument des Künstlers einen verschnürten Körper ab: Er wird in Farbfelder aufgeteilt, und Licht malt eine Aura um ihn. Die Bilder zucken, werden übereinandergelegt, laufen von vorn los in einer Weise, die der modernen Plattenspielerbedienung abgeschaut ist. Der Filmer wird zum „Discjockey der Bilder“.

Die Flut der Bilder, die den vielen neuen (Re -)Produktionsmitteln entspringt, läßt bei den Kulturkritikern die Befürchtung laut werden, die Sprache verkümmere, und der Mensch fiele in die Wahrnehmungsstufe vor Erfindung der Schrift zurück. Zwei Tapes aus dem Programm greifen das Thema Sprache auf. „Eat love now“ von Mariana Alcofonda macht sie überflüssig. Die Bedeutung der Worte „Love-Sex-Death“, die in Lettern auftauchen, wird schon allein in den von Licht- und Schattenspielen aufgelösten menschlichen Körpern klar. Cosima Reif dagegen versöhnte Bild und Schrift und verfilmte gleich ein ganzes Buch. Seite um Seite raschelt am Objektiv vorbei. Die Gier, den Text zu lesen, wird nicht befriedigt. Sobald Textfetzen zu entziffern sind, gleitet die Kamera wieder ab. Etwas ganz anderes sättigt dann: die Vergrößerung. Die Lettern erscheinen, je nach Winkel und Lichteinfall, wie Tuschzeichnungen oder in Stein gehauene Reliefs.

Unabhängig von ihrer tatsächlichen Dauer scheint die Reise durch die Videos Lichtjahre zu währen. Schuld daran ist die Musik, die das Abtauchen in die Bildfolgen zum Rausch werden läßt. Diesem Prinzip folgen auf die Arbeiten Konrad von Berlins und Mike Steiners. A & O zeigt Bänder aus der Pionierzeit des Videos, als in der Folge von Fluxus zwischen 1974 und 1978 die Möglichkeiten des neuen Spielzeugs ausprobiert wurden. Das Bild im Bild im Bild und die Ausstellung in der Ausstellung spiegelt „Mittwochsaktivität 3“. Scheinbar hilflos tastet sich die Kamera an die Ausstellungsbesucher heran und bleibt an Details hängen: an der Hand, die auf einem Arm liegt, einer Kaffeetasse, einem Mantelkragen. Die unscharfen Bilder vermitteln den Eindruck absoluter Echtheit - so war das also, als die Männer noch wallende Bärte und die Frau dicke Lidstriche trugen.

Die Zellteilung der Bilder setzt sich in allen Varianten fort. Dabei setzt A & O auf vorbestrafte Medien. An den Wänden der schmalen Galerie hängen deshalb Polaroids von Szenen aus Andres Video, Sofortbilder und Video riechen immer noch nach im Privaten dilettierenden Familienvätern.

Die Ausstellungen von A & O werden dann auch gerade von versierten Galerienbesuchern eher als kulturkritischer Scherz aufgenommen denn als Überlegungen zu Wahrnehmungsmustern. Sie reizten sogar schon zu Zerstörungen. Halbdurchsichtige Transportfolien versperrten einmal den Blick auf die Objekte. Nur das Foto neben ihnen enthüllte ihr Aussehen. Nach der Ausstellungseröffnung lag die Folie zerfetzt auf dem Boden. Aber egal, wozu sich die Besucher hinreißen lassen, ihre Reaktionen gliedern sich nachher in die Rezeptionsforschung der Galerie A & O ein.

Das Kunstblatt Berlin erwähnt A & O nicht, obwohl eine mysteriöse Nummer 118 ungefähr den Ort bezeichnen könnte. Wichtig ist das ohnehin nicht. Die Aufführungen sind gut besucht, und ob es den Laden, der im letzten Spätsommer eröffnete, noch lange geben wird, steht noch in den Sternen. Das Konzept sah nur ein Jahr voraus. Wolfram Odin und Andre wollten sich Freiraum für eigenes Schaffen bewahren. Andre überlegt aber, nach Ablauf der Frist auch allein weiterzumachen. Genügend Material hat er noch vorrätig, um neben dem Galeriebetrieb weiter Bilder ins Bild zu setzen.

Claudia Wahjudi

Kuprac: Überraschungsperformance. 17.2., Graefestraße 73, 22 Uhr; Light-Band-Galerie: Ausstellungseröffnung Gero Künzel und Sangare Siemsen, 17.2., Graefestraße 68, 20 Uhr; A & O, Graefestraße 76, Termine siehe LaVie.

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