: Eine Welle leerer Bombendrohungen in der DDR
Allein in Ost-Berlin wurden einer Woche sechzehn Anschläge angekündigt, die sich jedoch alle als Fehlalarm entpuppten / Staatliche und politische Einrichtungen als Ziele / Auch Runder Tisch betroffen / Hintergründe völlig unklar / Polizei befürchtet weitere Trittbrettfahrer ■ Von Wolfgang Gast
Berlin (taz) - Die DDR wird gegenwärtig von einer regelrechten Welle der Bombendrohungen überrollt. Jüngstes Beispiel: Am Mittwoch abend mußte bei Halle ein Wohnheim für ausländische Arbeitnehmer evakuiert werden, weil ein anonymer Anrufer die Explosion einer Bombe ankündigte. Die über 60 Wohnungen des Wohnheims, in dem Arbeiter aus Kuba, Mosambik und anderer Staaten untergebracht sind, wurden mehrere Stunden lang durchsucht. Ein Sprengkörper konnte dort aber nicht gefunden werden.
Beim Hauptvorstand der Ost-Berliner CDU war bereits am Vortag eine anonyme Bombendrohung eingegangen. Das Parteihaus am Platz der Akademie mußte ebenso wie ein anliegendes Restaurant geräumt werden. Schutzpolizei und Kripo fahndeten auch hier vergeblich nach einem Sprengsatz.
Allein für die Haupstadt zählte das Prädidium der Volkspolizei in Ost-Berlin in der vergangenen Woche 16 anonyme Bombendrohungen. Betroffen waren in erster Linie Vorsorgung- und Transporteinrichtungen und - wie Presseoffizier Michael Bremer erklärte - „politisch relevante Einrichtungen“. Die Zahl der anonymen Anrufe steige seit Monaten kontinuierlich. Ziel der Bombendrohungen war unter anderem auch der Runde Tisch. Das Bonhoefer-Haus, in dem sich die Vertreter der Regierung und der Oppositionsgruppen treffen, war schon mehrfach der Adressat von Anschlagsdrohungen. Wie Bremer erklärte, konnte bisher nur einer der anonymen Anrufer ermittelt werden. Der Mann wurde festgenommen, nachdem er seine Bombendrohung telefonisch dem Diensthabenden des VoPo-Präsidiums ausgerichtet hatte. Weil er seinen Fernsprecher zu Hause benutze wurde er Opfer einer Fangschaltung.
Über die Motive der Bombendroher können die DDR-Ermittler nur wenig sagen. Sie betonen aber, daß jeder der Anrufe „sehr ernst“ genommen werde. Grünes Licht zum Betreten der Gebäude werde erst dann wieder gegeben, wenn Angehörige der Schutzpolizei oder der Kripo die Häuser gründlich durchsucht hätten. Donnerstag letzter Woche wurden so beispielsweise über tausend Kinder aus dem Ostberliner Friedrichstadt -Palast evakuiert, nachdem die Explosion einer Bombe während einer Kinderveranstaltung telefonisch angekündigt wurde. Auch diese Drohung erwies sich als Fehlalarm.
Die DDR-Zeitungen berichten fast täglich in Kurzmeldungen über die angekündigten Anschläge, die nicht stattfinden. Geht es nach dem Willen der Polizeiexperten, sollen diese Meldungen aus den Medien wieder verschwinden. Die Ermittler befürchten, daß sich „so mancher durch die Veröffentlichung motiviert sehen könnt, auch zu drohen“. Bei der Volkspolizei wurde unterdessen eine gesonderte Kontaktstelle zur Entgegenahme von Anzeigen wegen „extremistischer Aktivitäten“ eingerichtet. Nach den Worten von Sprecher Bremer wird sie von der Bevölkerung „aktiv genutzt“.
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