piwik no script img

DIE VORSTADT IST ENDLOS

■ Die erste unabhängige Kunstfabrik Potsdam

Einfacher wäre es sicher gewesen, mit der S-Bahn nach Wannsee zu fahren und da das Fahrrad oder den Bus nach Potsdam zu besteigen. Doch das Zugfahren ist eine der nachdenklichen Freuden, der man sich nach Grenzöffnung gedankenverloren hingeben kann. Man lernt auch viel - z.B. lesen zwei DDR-Teenies begeistert die 'Bravo‘. Schenkt man seinen Eindrücken beim Zeitschriftenhändler und in der hauptstädtischen U-und S-Bahn Glauben, so ist die 'Bravo‘ im Moment überhaupt der große Renner. Knapp 40jährige haben 'Bravo'-Fanclubausweise in ihren Portemonnaies stecken. So scheint es mit der eigenen Sprache (Hartung) doch noch nicht zu klappen und sich im allgemeinen eher zu bestätigen, daß die Kollegen von drüben in Sachen Eroticee ein wenig sprachgestört (Broder) erscheinen.

Um den Westteil herum, der auf den Karten in den Zügen so irritierend klein aussieht, ging früher immer die Fahrt hauptstädtischer Potsdambesucher. Auf dem Betriebsbahnhof Schöneweide stehen viele kleine Türmchen mit runden kleine Hüten - was das wohl soll? - und bis zum Flughafen Schönefeld zähle ich sechs melancholische einsame Fußballfelder. Nicht Jägerzäune säumen die Schienen, sondern einfache Holzzäune mit aufrechten Stäben. Auf einer Litfaßsäule ist ein Vortrag annonciert, der erklären will, wieso „jeder das Recht hat, sie/er selbst zu sein“.

Von Schönefeld aus bringt mich ein schwimmbadblauer Bus, überfüllt, nach Potsdam - später sagt man mir, daß ich den längstmöglichen Weg gewählt hatte. Der Bus, der natürlich viel schöner ist als all die modernen Tüterkrambusse des Westens, in dem also auf allen Schnickschnack, wie Heizung etc., verzichtet worden ist, hält ungefähr 70mal, bis er in P. ist. Ows wie Sechow, Teltow oder Glasow ziehen vorbei.

Der „Broadway“ zwischen Bahnhof und Brandenburger Tor ist die Haupteinkaufsstraße. Jeden Mittwoch gibt es hier „Schlachtspezialitäten“, im Kinomuseum werden „Visionen, Ängste, Katastrophen“ beschworen, Damenunterwäsche ist „leicht im Material - reizvoll in der Wirkung“, und Zigarren heißen „Sprachlos“.

Die Hermann-Elfflein-Straße zweigt kurz vor dem Tor ab. Um zur „Ersten unabhängigen Kunstfabrik Potsdam EUKP“ zu kommen, durchquert man einen äußerst malerisch schmalen Zille-Hinterhof - träum ich, wach ich -, kommt in ein uraltes Gartenhaus, geht durch ein ausgetretenes Treppenhaus, das nur von ein paar Kerzen beleuchtet wird, betritt den Ausstellungsraum, und plötzlich ist man wieder in der Gegenwart. Gemischtes Kreuzberger Vernissagenpublikum denkt man, doch wie mir jemand versichert, der seit ein paar Jahren sein Westgeld bei einer japanischen Firma im Osten verdient und, wo viele zittern, sich auf den Wahltermin freut - dann will er sich eine Ost-Wohnung besorgen -, sind alle Grüppchen, die so aufgeregt über irgendwas reden, aus Potsdam. An der Bar gibt's Egriwein aus Ungarn - damit sollte man vorsichtig sein. Jemand spielt auf dem Saxophon. Die Bilder - das ist erst einmal enttäuschend - stammen von einem West-Künstler, dem Günther (Albien), der in Essen die Kunsthochschule besuchte und im Kato, bei einer Fotoausstellung, einen der Potsdamer Macher kennengelernt hatte. Es heißt „Das kurzfristige Erscheinen des Himmels über Potsdam“ - es könnte jedoch auch der Himmel über Steglitz oder Segeberg sein - Verbindungen zur DDR -Verwandlung sind nicht die Intention des Künstlers gewesen. Seine Werke haben keine Namen; der Zoll wird sie, wenn sie wieder zurückgebracht werden, an ihren Formaten wiedererkennen. Der Maler malte schnell und wuchtig; vor einem Yves-Klein-Blau recken sich Knochenhände, die auch mal sechs Finger haben dürfen nach oben. Kräftige Vertikalen, bei denen sich die einzelnen Farben nie vermischen Farbbrocken, Spritzer, Signalfarben. Manchmal ist der Untergrund ein magisches Violett oder ein Phosphor (wie bei den Uhren, die im Dunkel leuchten), manchmal sind es nur noch ungegenständliche Vertikalen, und die Gegenständlichkeit, die bei anderen Bildern ohnehin nur wie ein Aufschrei ist, verliert sich. Nicht so sehr in den Himmel, sondern eher aus etwas heraus strecken sich die Hände. Aus Blut oder Vulkan, ertrinkend aus dem Wasser. Große Formate allesamt, die nirgendwo anders hin zu gehören scheinen als genau in diese Räume, die im dritten Stock noch so wirken, als befänden sie sich ebenso gewölbt eigentlich im Keller.

„Die erste Ausstellung haben wir am 25.November eröffnet“, berichtet Frank Gaudlitz, gelernter Maler und Fotografiestudent an der Hochschule für Grafik und Buchkunst. „Ungefähr drei Wochen vorher kam die Idee, eine Galerie hier in Potsdam aufzumachen und vor allem diese zählebigen Strukturen im Kunstbetrieb aufzutauen.“ Die drei Galeristen wollten „irgendwas Alternatives schaffen“ und hatten nach langem Suchen dieses Haus gefunden, ein ehemaliges Brauereigebäude aus der Jahrhundertwende. Zunächst hatten sie einen Nutzungsvertrag mit der Denkmalpflege gemacht, die die Räume als Lager angemietet hatte. „Mittlerweile ist die Denkmalspflege rausgegangen.“ Sie verstehen sich nicht nur als Galeristen, „sondern das soll eher ein Aktionsraum sein; hier sollen Arbeiten direkt vor Ort entstehen können.“ Galerien im herkömmlichen Sinne gebe es schon mehr als genug. Man will also nicht nur Bilder ausstellen, sondern auch anderen Künsten - Theater und Literatur - Raum geben.

„Der Kunstbetrieb ist so gelaufen“, berichtet Gaudlitz, „daß er nur für die Leute da war, die im Verband (VBK) waren; das Profil war also recht eng, und junge Leute, die nicht organisiert waren, hatten kaum 'ne Möglichkeit. Wenn, dann durch einen Förderer und erst Jahre später, wenn die Bilder längst nicht mehr zu hängen brauchten. Die „kraftvollen und guten Sachen“, so meint er, existierten oftmals außerhalb des Verbandes.

Um in den Verband hineinzukommen, gab es zwei Wege: entweder über den AutodidaktInnenverband oder, das sei der gewöhnlich Weg, über das Kunststudium. Nach dem Kunststudium hatte man erst in irgendeine Stadt vermittelt werden müssen. „Du machst da eine Kandidatur von drei Jahren und dann wirst du übernommen. Aber Kunst existiert ja nicht nur über die Kunstschulen. Da gab es in Leipzig seit '84 die Galerie Eigenart - das war das erste Projekt, das unabhängig funktionierte, und ich glaube, wir waren so ungefähr die zweiten in der DDR.“

Das Grundstück der Kunstfabrik ist erstmal nur angemietet, und die Initiatoren befürchten, daß das Haus aufgekauft werden könnte. Tausend Leute aus dem Westen kämen rein und fragten nach Mietverträgen... So hoffen sie darauf, das Haus kaufen zu können. Bis zum Kommunalwahltermin muß das allerdings erledigt sein. Es bleibt also nicht mehr viel Zeit.

„Wenn die Bürger mitspielen, ließe sich vielleicht was machen.“ Eine Zeitlang sollte das Haus abgerissen werden, weil es den Bürgern im Haus nebenan die Sonne wegnimmt. Es gab immer „nur die verfestigte Position: wir knallen das weg. Wir sind dann zu den einzelnen Familien gegangen, und da ergab sich schon ein ganz anderes Bild. „Wenn die Bürger mitspielen“, hofft Frank Gaudlitz, „kriegen wir das Geld, das für den Abriß vorgesehen war, für den Aufbau, und dann können wir weiterexistieren.“

Man hat große Pläne: „Unten wird ein Cafe reinkommen und oben wird eine Terrasse eingebaut. - Wir müssen bloß aufpassen, daß uns keiner an die Karre pißt.“ Angst haben die Macher nicht, auch wenn ihnen bewußt ist, daß die Kunstszene in der DDR sehr eigenständig und engagiert war und daß sie im Konkurrenzkampf vor die Hunde gehen könnte.

Im Moment heißt es auf den Leipziger Montagsdemonstrationen: „Künstler in die Volkswirtschaft“. „So heißt dann auch unser Fasching an der Kunsthochschule.“

Das Wunderschöne an der neuen Situation, dem man sich bei aller Wut gar nicht entziehen kann, ist, daß man als Westberliner, der bislang nichts von seinem Mauersyndrom wußte, plötzlich große Reisen macht. Schöne, interessante Dinge anguckt, und dann mit den anderen Westsäcken, die in Potsdam am Wochenende mindesten die Hälfte des Verkehrs ausmachen, heimfährt.

Detlef Kuhlbrodt

Günther Albien in Zusammenarbeit mit der ersten unabhängigen Kunstfabrik Potsdam EUKP bis 16.März, Fr./Sa./So. 11 bis 17Uhr, Herrmann Elfleinstraße10, 1570Potsdam. Ebenda am 3.3., 19.45Uhr: Lesung eigener Texte von und mit Hildegard Günther und Kemal Kurt, West-Berlin/Türkei.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen