Wer kriegt die Bären?

■ Die alljährliche politisch-ästhetisch-moralische Spekulation zur gespannt erwarteten Preisverleihung am Ende der Berlinale

Diesmal ist der Osten dran. Dafür gibt's mindestens drei Gründe. Erstens: Im letzten Jahr wurden drei der vier amerikanischen Wettbewerbsfilme mit Bären geehrt. Vor zwei Jahren gewannen China (Rotes Kornfeld) und die Sowjetunion (Die Kommissarin von Aleksandr Askoldov).

Da die Berlinale es sich zur Gepflogenheit gemacht hat, Ost und West immer abwechselnd zu ehren, ist diesmal also der Osten dran.

Zweitens: Nach dem Krach um die Dominanz der US-Majors und um Helma Sanders-Brahms‘ Austritt aus der Auswahlkommission zum Festivalbeginn dürfen die Amerikaner auf keinen Fall den Goldenen Bären mit nach Hause nehmen. Es sei denn, Moritz de Hadeln ist über jede Medienschelte erhaben.

Daß ich ihn außer bei Oliver Stone bei keiner Pressekonferenz gesehen habe, ist peinlich genug.

Drittens: Die erste Ost-West-Berlinale muß wenigstens bei der Preisverleihung auch im Wettbewerb auf die Ereignisse in Ost-Europa reagieren.

Bleibt die Frage, wie die Jury sich zwischen Koma, Jiri Menzels Lerchen am Faden und Kira Muratovas Das asthenische Syndrom entscheidet.

Für Koma spricht, daß die Kritiker ihn lobten, für Menzel, daß das Publikum ihn liebte und für Kira Muratova die ungewöhnliche Präsenz der TV-Kameras auf der gestrigen Pressekonferenz.

Allerdings gehört Das asthenische Syndrom zu der Sorte Film, in dem die Kritiker schlafen und hinterher schreiben, das sei große Kunst.

Hoffen wir für Lerchen am Faden. In einem TV-Interview meinte Menzel: „Wer etwas Wichtiges zu sagen hat und damit ernstgenommen werden will, darf es auf keinen Fall mit ernster Miene sagen“.

Allein für diesen Satz hat er den Bären verdient.

Da die Berlinale ihre Preise nach politischen und nicht nach ästhetischen Kriterien vergibt, werden die Silbernen Bären, Spezial- und Darstellerpreise wie immer diplomatisch gerecht gestreut werden.

Michael Verhoeven zum Beispiel hat noch eine Wiedergutmachung gut: Vor 20 Jahren kam es wegen seines Films O. K zum Skandal, also kriegt er jetzt was für Das schreckliche Mädchen. Und Hark Bohm hat was verdient, weil es wieder so nett war mit ihm und seiner Familie.

Unter den amerikanischen Teilnehmern haben Costa-Gavras, Danny de Vito und Bruce Beresford die größten Chancen: Über Music Box wurde am meisten diskutiert, über den Rosenkrieg am meisten gelacht, und Driving Miss Daisy hatte die besten Darsteller: Jessica Tandy und Morgan Freeman. Auch die kanadische Scheinehe als die einzige diesjährige Love-Story wird nicht leer ausgehen.

Für Westeuropa sehe ich allerdings schwarz: bei Jacques Doillon (Frankreich) und Almodovar (Spanien) scheiden sich die Geister, und Francesco Masellis Geheimnis (Italien) wurde ausgebuht wie sonst nur noch Schlöndorff. Arme Nastassja!

Christiane Peitz