: DDR-Eishockey: „Die Zeit brennt“
Dynamo Weißwasser holt sich den 25. Titel im DDR-Eishockey und beendet damit vermutlich die Geschichte der seltsamsten Liga der Welt / Die beiden Dynamos aus Berlin und Weißwasser wollen in die Bundesliga ■ Aus Ost-Berlin Herr Thömmes
Auf dem Eis des Berliner Dynamo-Sportforums kreisen am Sonntag abend die Pullen mit Krimsekt. Fans reichen Nachschub über die Bande, und die Jungs in blau-gelb, dampfend in ihren Hockey-Panzern, setzen mit Vergnügen die Flaschen an den Hals. Ex und hopp, we are the Champions.
Die Konkurrenz in Rot-Weiß schaut ziemlich traurig aus der Wäsche. „Vizemeister im DDR-Eishockey 1990: Dynamo Berlin“, schreit der Hallensprecher, aber nicht einmal die Urkunden und Medaillen machen die Mienen der Spieler freundlicher. Vizemeister, ist das nichts? Vizemeister, das bedeutet im Eishockey hierzulande genau: Zweiter von zwei Mannschaften. Kein Grund zu feiern.
Doch auch in Weißwasser wird, wenn die erste Begeisterung über den Gewinn des 25. Titels vorbei ist, Katerstimmung aufkommen. Keiner weiß, was die Zukunft bringt, und die Verantwortlichen im Eishockey sind in ihren Gefühlen ziemlich hin- und hergerissen: In die Freude darüber, daß die jahrzehntelange Gängelei durch die Sportoberen ein Ende hat, mischt sich die Befürchtung, ihre ganze Sportart könnte bald ein Ende finden.
„Die Zeit brennt“, sagt Hartmut Nickel, Trainer bei Berlin. Der Winter ist bald vorbei, und bis zum Juni muß die Planung für die neue Saison stehen. Nur, wer kann in diesem Moment was planen? „Wir sind“, weiß Rüdiger Noack, Vorsitzender in Weißwasser, „auf das Wohlwollen des Westens angewiesen.“ Der Wunsch ist eindeutig: Mitspielen in der Bundesliga, egal in welcher.
Vor Wochen noch war für Stefan Metz, Manager von Preussen Berlin, dieser Vorschlag eine „Schnapsidee für die 'Bild' -Zeitung“. Jetzt soll er die Rettung bringen. „Wenn das nicht klappt“, glaubt Noak, „werden die meisten nicht so weitermachen.“ Nicht so, das heißt: Nicht noch ein Jahr lang Spiel für Spiel Berlin gegen Weißwasser, Weißwasser gegen Berlin. „Dann würden wir ein paar Leute verlieren“ (Nickel)
-trotz der Sperre von achtzehn Monaten bei einem Wechsel in den Westen.
Und allzuviel Aderlaß kann das Eishockey in der DDR nicht mehr vertragen. Rund 50 erstklassige Spieler stehen den beiden verbliebenen Mannschaften zur Verfügung, schon ein paar Verletzte reichen da zum personellen Engpaß. Hartmut Nickel etwa verfügt derzeit über einen „Kaderbestand von 22, darunter drei Torhüter“. Viel weniger geht nicht. Und trotzdem, da sind sich alle sicher, wären die zwei DDR-Teams eine Bereicherung für die Bundesliga.
Erstaunlich ist nicht nur das Niveau der Leistungen, erstaunlich ist so vieles im Eishockey der DDR. „Phänomenal“, wunderte sich selbst Ex-Nationaltrainer Joachim Ziesche, „zu den sechs Meisterschaftsspielen der vergangenen Saison kamen annähernd 60.000 Zuschauer.“ Und die 'Berliner Zeitung‘ registrierte schon 1985: „Verblüffend die hitzige Erregung beim Dauerduell.“ Für Westler war das schon gar nicht zu verstehen. „Ein Schwachsinn“, mußte Preußens Manager Metz feststellen, „hier geht's ja gar nicht um Geld.“
Ums Durchhalten ging es, um „Trotz: Die kriegen uns nicht kaputt“ (Noack). Die da oben, das waren die Sportfunktionäre, für die immer nur eines zählte: Medaillen. Und da konnte Eishockey in der Kosten-Nutzen-Rechnung nur schlecht aussehen. Eisschnellauf und Eiskunstlauf brachte da allemal mehr. 1970 wurde dann der Schnitt angesetzt: Von den verbliebenen acht Vereinen durften nur zwei überleben Mielke sei Dank. Der Stasi-Chef war ein Freund des Puckspiels. Zwanzig Jahre lang sicherte er die Finanzierung der beiden Dynamos aus dem Etat des Ministeriums für Staatssicherheit.
Für mehr konnte offenbar auch Erich Mielke nicht garantieren. Mehrfach qualifizierte sich die Berlin -Weißwasser-Mischung als Nationalmannschaft für Olympische Spiele und mußte aus Kostengründen doch zu Hause bleiben. Bisweilen wurden bei Weltmeisterschaften sogar Prämien für den Abstieg bezahlt, das kam billiger.
Nur unterhalb der „Zwergenliga“ ('Deutsches Sportecho‘) blieb nichts. Altgediente Veteranen, die vom Eishockey nicht lassen konnten, trafen sich unter Namen wie Monsator und Spartakus Berlin, Chemie 70 Rostock oder Dynamo Fritz-Lesch einmal jährlich zur „Bestenermittlung“. Das war's dann schon. „Volkssportler reinster Couleur“, erklärt ein Reporter, und dem 'Sportecho‘ kam beim Zuschauen der Eindruck, „daß die Ausrüstung der Spieler aus einem Sportmuseum oder gar dem Kostümverleih stammen“.
Aber auch das Spiel der wenigen bezahlten Cracks war eher eine Narretei: Je nach Modus entschied einer der beiden Clubs oft innerhalb von Wochen die Meisterschaft für sich. Obwohl 1986, um die Langeweile etwas unterhaltsamer zu machen, Play-Off-Spiele eingeführt wurden, mußte ein Jahr später die Gewerkschaftszeitung - 'Tribüne‘ bereits im November feststellen: „Eis-Titel schon vor Winterbeginn vergeben.“ Im Jahr darauf durfte in Weißwasser das Feiern sogar noch einige Tage früher beginnen. Den Fans war das gleich. Die kamen zu Tausenden und sorgten vor allem im Freiluftstadion von Weißwasser für Stimmung, als sei „der Saddledome aus Calgary an die Lausitz verlegt worden“ ('Nationalzeitung‘).
Den Rest der Saison verbrachten die beiden Vereine mit der Suche nach Partnern für Freundschaftsspiele. Polnische und tschechoslowakische Vereine sprangen ein, von dort kam auch der materielle Nachschub in Form von Sportausrüstung. Doch jetzt wird Hilfe von der anderen Seite der Grenze erwartet. „Die Sponsorenfrage“ will Rüdiger Noack „durch die Infiltration westlichen Kapitals“ lösen, den Rest der Selbstfinanzierung müßten erhöhte Eintrittspreise bringen. Nach und nach, so hoffte der „verdiente Meister des Sports“, könnte Eishockey dann auch in den anderen einstigen Hochburgen der DDR wiederbelebt werden. In Crimmitschau beispielsweise wurde vor Tagen erst ein EHC neu gegründet, Nachfolger der früheren Einheit. „Hunderte von Kindern wollen sich dort anmelden“, freut sich Berlins Trainer Nickel.
Ein schöner Plan. Zumal sich die beiden Verbände in Ost und West noch im Dezember einig waren: Wir bleiben getrennt, und Spieler, die wechseln, müssen mit einer Sperre rechnen. Die BRD, mit finanz- und spielstarken Clubs auch nicht gerade gesegnet, so ging die Rechnung der DDR-Funktionäre, würden die beiden Kühe doch nicht schlachten, von denen langfristig frische Milch zu erwarten war.
Jetzt sind schon andere Töne zu hören. Vergangenen Samstag räsonierte Manager Metz im Ostberliner Rundfunk über die Frage, was denn gegen eine starke DDR-Nationalmannschaft spräche, deren Spieler sämtlich im Ausland spielten? Im dänischen Fußball sei das schließlich auch so.
Von der Leistung her wäre das denkbar. Bei den jüngsten Vergleichen mit Bundesligaclubs machten sowohl Weißwasser als auch Berlin eine gute Figur: Die Ostberliner schlugen nacheinander Iserlohn, Wolfsburg und Essen, auch gegen die Preussen aus dem Westteil der Stadt wurde zweimal gewonnen ('Bild‘: „Preussen prügelte nur besser“). Trainer Nickel ist sich sicher: „Einige Spieler würden wir reißend loswerden.“
Das wird auch Janos Starsi bestätigen. Als Weißwasser im Europacup gegen den Sportbund Rosenheim beim 3:3 -Unentschieden sogar überlegen war, wunderte sich der Trainer, gegen die flinken Flitzer aus dem Trabiland hätten seine Profis „schwerfällig wie Lastwagen“ ausgesehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen