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Neutralität

■ Jugoslawisches Militär marschiert erneut nach Kosovo

Wenn jetzt wieder Einheiten der Armee nach Kosovo in Bewegung gesetzt worden sind, um die „verfassungsmäßige Ordnung“ wiederherzustellen, könnten die Albaner eigentlich aufatmen. Denn nach dem Abzug der slowenischen Polizeitruppen vor zwei Wochen sind es vor allem die serbischen „Sicherheitskräfte“, die in der Region das Sagen haben. Ihre Blutspur ist breiter geworden - mehrere Dutzend Tote allein in diesem Jahr zeugen davon. Unter diesen Bedingungen muß es den albanischen demokratischen Organisationen immer schwerer fallen, ihre Strategie des passiven Widerstands in der eigenen Bevölkerung durchzusetzen.

Militante Gegenwehr der albanischen Bevölkerungsmehrheit jedoch, die zudem noch die Möglichkeiten für Provokationen vergrößern würde, käme den Absichten der serbischen Nationalisten entgegen. Nach allen Geschehnissen der letzten Wochen und Monate, nach der Ankündigung der serbischen Nationalisten 400.000 Albaner aus dem Kosovo zu vertreiben und 600.000 Serben in dem Gebiet ansiedeln zu wollen, ist es nicht einmal verwegen zu behaupten, daß in Serbien vor Völkermord nicht mehr zurückgeschreckt wird. Die Massenversammlungen der serbischen Nationalisten, die in dem Ruf nach Waffen und in der Aufforderung münden, nach Kosovo zu ziehen, sind dafür Beleg genug.

Trotz dieser Drohungen können die Albaner dem Einmarsch der Armee nicht vorbehaltlos zustimmen, solange das Staatspräsidium und die Belgrader Bundesregierung nicht eindeutig die serbischen Nationalisten in die Schranken weisen. Zwar gibt es Zeichen, die hoffen lassen: Indem sich die Regierung Ante Markovic näher an die EG anlehnen will im Falle der Anbindung der Währung an die DM wurde dazu ein erster gewichtiger Schritt gemacht -, muß sie die Demokratisierung der Gesellschaft einleiten. Die landesweite Zulassung von Parteien, die Ankündigung demokratischer Wahlen in allen Republiken, bieten auch für die Albaner im Kosovo eine politische Perspektive.

Die Hoffnung auf demokratische Konfliktlösungen wird jedoch immer wieder durch opportunistische Anbiederungen des jugoslawischen Regierungschefs Markovic an die Adresse des serbischen Parteiführers Milosevic entwertet. Und Sorgen macht den Albanern ebenfalls die unverhohlene Sympathie mancher Generäle für die serbischen Nationalisten. So bleibt den Albanern jetzt nur zu hoffen, daß die Bundesbehörden in Belgrad für die Neutralität der Armee gesorgt haben. Und wenn das Militär die serbische Polizei in ihre Schranken verweist, wäre das der erste Schritt zum Frieden.

Erich Rathfelder

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