Gorbatschow will kein Deutscher werden

Im 'Prawda'-Interview warnt Gorbatschow vor Versuchen, die Sowjetunion zu übertölpeln / Keine Wiedervereinigung gegen den Willen der Sowjetunion / Genscher: Vier Mächte werden nicht hintergangen / Karsten Voigt: Das ist die Reaktion auf Stoltenbergs Vorstoß  ■  Von Jürgen Gottschlich

Berlin (taz) - „Bei allem Respekt vor den nationalen Rechten der Deutschen“, so der sowjetische Staatschef in einem Interview in der 'Prawda‘, „ist die Situation doch so, daß man sich nicht vorstellen kann, daß sich die Deutschen untereinander einigen und danach alle anderen die von ihnen gefaßten Beschlüsse nur noch billigen können.“ Gegen den Willen der Sowjetunion, so Gorbatschow im Interview sinngemäß weiter, geht in Sachen deutsche Vereinigung gar nichts.

Die Äußerungen Gorbatschows sind die erste öffentliche Stellungnahme des Generalsekretärs nach der Einigung in Ottawa, die weiteren Schritte zur Lösung der deutschen Frage in dem Konsultationsmechanismus „2 plus 4“ zu suchen. Ausdrücklich weist Gorbatschow darauf hin, daß die UdSSR es nicht akzeptieren wird, in diesem Prozeß von vornherein mit festen Absprachen zwischen der Bundesregierung und den Westalliierten konfrontiert zu werden. Bereits am Montag hatte sein Außenminister Schewardnadse noch einmal davor gewarnt, daß die Bundesregierung und ihre westlichen Verbündeten davon ausgehen, die Sowjetunion würde letztlich doch die Vereinnahmung Gesamtdeutschlands durch die Nato akzeptieren.

In einer ersten Reaktion hat Bundesaußenminister Genscher gestern noch einmal versichert, niemand in Bonn plane Gespräche mit der DDR hinter dem Rücken der Vier Mächte. Die Rechte der Siegermächte würden von der Bundesregierung voll anerkannt. Er gehe davon aus, daß es gelingen wird, die deutsche Einheit im Konsens mit allen Beteiligten zu „einem Beitrag zur Stabilität in Europa“ zu machen. Die Möglichkeit, sowjetische Bedenken dadurch zu zerstreuen, daß ein vereinigtes Deutschland ähnlich wie Frankreich die militärische Organisation der Nato verläßt, schloß Genscher dagegen aus.

Der außenpolitische Sprecher der SPD, Karsten Voigt, sagte gegenüber der taz, einige Formulierungen Schewardnadses und auch Gorbatschows seien offenbar auch Reaktionen auf den platten Vorstoß Verteidigungsminister Stoltenbergs: „Auf soviel deutsche Großmannssucht muß ja eine harsche Reaktion der Sowjetunion erfolgen.“

Kanzlerberater Teltschik machte deutlich, daß ein Teil der Bundesregierung offenbar der Meinung ist, die UdSSR habe längst keine Möglichkeit mehr, auf den Vereinigungsprozeß noch Einfluß zu nehmen. Gorbatschow, so Teltschik vor Industriellen, tue gut daran, „keine apodiktischen Forderungen zu stellen“. An Schewardnadse gewandt, der vor einem zu großen Tempo gewarnt hatte, fügte Teltschik hinzu: „Der wird sich noch wundern, wie schnell das geht.“ Dokumentation des Gorbatschow

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