: Ein gemeinsamer Ort
■ Hans Luger: „KommRum. Der andere Alltag mit Verrückten“
Wer mag schon Psychiatrie-Bücher? Die schrägen, die anderen werden nicht mehr geschrieben. David Cooper ist tot, Ronald D.Laing ist tot, Leo Navratils schreibende Künstler haben wir auch längst hinter uns. 1971 kam Jan Foudraines Wer ist aus Holz heraus. Das gibt es heute für zwei Mark in der Wühlkiste des Antiquariats.
Ist also nicht mehr die Zeit dafür? Die geistige Mode arbeitet sich seit Jahren zweifellos an anderem, nicht mehr an diesem Thema ab. Kaum einem tönt noch im Ohr, wie die alten Anstaltshüter sagten: „Laßt die Verrückten, wo sie sind.“ Und die Antwort darauf war: „Oh nein! Laßt die Verrückten, wie sie sind!“ Und: „Laßt sie frei!“ „Macht die Anstalten auf!“ Ein Pochen auf grundsätzliche Menschenrechte war das, Solidarität mit einer der entrechtetsten Gruppen der Gesellschaft. Tatsächlich, die Anstalten öffneten sich. Zaghaft und sicher zu wenig nur. Betten wurden erheblich abgebaut, sagen die Zahlen. Und wo finden die Verrückten, die Psychiatriebetroffenen jetzt ein Bett? Eine Wohnung? Einen Ort zum Leben?
Betreute Wohngemeinschaften gibt es, Übergangswohnheime, therapeutische Werkstätten, sozialpsychiatrische Dienste. Oder die Initiativen und Selbsthilfegruppen, die gibt's doch auch. Wir allerdings haben damit keinen Verrückten auch nur einen Deut mehr angenommen. Ist ja leichter gesagt als getan. Wenn einer in seiner psychotischen Krise nachts gegen die Heizungsrohre des Mietshauses klopft; wenn eine wirr gestikulierend durch die City läuft und sich fast vor die Straßenbahn legt; wenn einer bei seiner ewig scheiternden Frauenanmache im U-Bahn-Wagen beinahe zum Explodieren kommt... „Verschone mich!“ „Sollen doch die...!“
Hans Luger arbeitet im KommRum in Berlin 41. Er hat ein Buch darüber herausgebracht. Von Edmund und Werner und den Begegnungen mit ihnen erzählt es, von Marion, Rudi und anderen. Sie haben mehr als nur ihre sogenannten Krankengeschichte auf Lager. Das Cafe des KommRum gibt ihnen die Möglichkeit, so (verrückt) sein zu können, wie sie sind
-und doch nicht so sein zu müssen. Weil es ein Ort für mögliche Beziehungen ist, an dem die verrückten Fassaden nicht mehr notwendig zum Überleben gebraucht werden. Darum geht es im KommRum, an jedem Tag und bei jeder Begegnung. Luger beschreibt dies sehr eindrücklich, schildert gelungene und gescheiterte Kontakte, Gespräche, erzählt von den Ängsten, den Kränkungen, den Hoffnungen, die er an den Psychiatriebetroffenen und an sich selbst in seiner Arbeit erlebt.
Welches psychiatrische, welches therapeutische Konzept aber hat das KommRum? Hat es überhaupt eines? Hans Luger hat seinen Alltagsdarstellungen keine theoretischen Kapitel vorangestellt oder eingeschoben, aktuelle fachliche Diskurse oder therapeutische Modelle tauchen nicht auf.
Auf Tagungen diskutieren heute Klaus Dörner, Luc Ciompi und andere über die zurückgelegte Wegstrecke ihrer sozialpsychiatrischen Ansätze und werden dabei übrigens offen und höchst interessiert von Psychiatriefachleuten aus Uckermünde, Warschau und Leningrad angehört und unterstützt. Hans Lugers Terrain ist das so nicht. Seinen Schilderungen sind nur recht unscheinbare Reflexionen über den angemessenen und möglichen Umgang mit seinen Gästen im KommRum eingeflochten. Doch die sollte man - es lohnt sich genauer lesen.
Drei Sätze seien dafür zitiert:
„Menschen in der Umgebung eines Verrückten empfinden ihn vor allem dann als belastend und bedrohlich, wenn sie seinem Verhalten, seinen zum Teil heftigen emotionalen Entladungen keinen sinnvollen Auslöser zuordnen können. Es erscheint völlig unmotiviert, warum er sich verückt benimmt, und so soll es ja auch wirken - Verrücktheit hilft, den Zusammenhang von realer Verletzung und der persönlichen Reaktion darauf zu vernebeln. (...) Es sind in der Regel ganz aktuelle Kränkungen, mitgebracht vom gleichen Tage draußen oder direkt aus dem Geschehen im Cafe stammend, die sich bei unseren Gästen mit leichter Verzögerung und scheinbar ohne konkreten Bezug in Verrücktheit umsetzen.“
Wenn dies gelänge: jenen, die dünnhäutiger sind, die sich nach Jahren innerer Niederlagen oft auch mit ihren Verrücktheiten angefreundet haben, im ernstnehmenden Gespräch den Rückbezug zu ihren aktuellen Kränkungen zu ermöglichen. Sie dabei so zu begleiten, daß sie heikle Situationen auch einmal (und zunehmend) ohne den Ausflip oder die Resignation überstehen. Mit ihnen gemeinsam Alltagsbegegnungen zu erleben und die Krankenrolle darin aufzuheben. Würde das „der Psychiatrie den Nachschub abgraben“, wie der Klappentext des Buches es fordert? Im großen Stil sicher (noch) nicht. Im Ansatz zweifellos.
Ich kenne das KommRum in Berlin nicht. Hier in unserer idyllischen Schwarzwaldmetropole leben jedoch genauso Leute wie Edmund und Marion, Werner und Rudi. Nur: ohne solch einen Ort. Vielleicht wäre ich auch enttäuscht, würde ich das KommRum live in Berlin besichtigen. Aber eine Stätte für Psycho-Touristen will es nun ja weiß Gott nicht sein. Um echte, aufrichtige Begegnungen geht es dort, auszuhalten von beiden Seiten. Darüber hat Hans Luger geschrieben, ohne Aufopferung, ohne Qual, ohne übermäßig therapeutische Ambitionen. Und hat dennoch gezeigt, daß es vorwärts gehen kann.
Insofern ist das Buch wichtig. Wichtig auch für jeden, der sich neu auf das Eis der Psychiatrieszene begibt. Aber eines ist das Buch noch viel mehr: Es ist eine Erfrischung.
Jens Clausen
Hans Luger: KommRum. Der andere Alltag mit Verrückten. Psychiatrie-Verlag Bonn 1989. 264 Seiten. 24,80 DM
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