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Ein Archiv stellt sich vor

■ Zum Katalog der Bücher und Broschüren des Exilarchivs der Deutschen Bibliothek in Frankfurt/Main

Maria Kühn-Ludewig

ExilforscherInnen wissen es längst: Was 1948 als bescheidene „Abteilung Exilliteratur“ konzipiert und mit wenigen Bänden begonnen wurde, hat sich inzwischen in der Deutschen Bibliothek in Frankfurt am Main zum „Deutschen Exilarchiv 1933-1945“ mit heute ca. 12.000 Bänden sowie Zeitschriften, Autographen, Flugblättern, Mikrofilmen und Fotos entwickelt. Neuerdings ist nun - wie die taz bereits meldete - im Stuttgarter Verlag Metzler der Bestandskatalog des Archivs erschienen, der knapp 7000 Bücher und Broschüren detailliert verzeichnet und durch vier Register sorgfältig erschließt; 5 -Jahres-Supplemente werden die Titel der seit 1985 hinzukommenden Neuerwerbungen enthalten.

So können sich InteressentInnen künftig auch außerhalb Frankfurts zumindest in größeren Bibliotheken über diese Sondersammlung aktuell informieren. Leider wird der stattliche Preis nur den wenigsten die Anschaffung fürs eigene Bücherregal erlauben, solange nicht der Verlag eine Taschenbuchausgabe folgen läßt; aber dieser Wunsch blieb bisher auch für andere Nachschlagewerke, wie das Handbuch der deutschen Exilpresse (München: Hanser) und das Biographische Handbuch der deutschsprachigen Emigration (München: Saur), unerfüllt.

Zum ersten Mal hatte die Sammlung Exillitertaur der Deutschen Bibliothek 1965 durch eine repräsentative Ausstellung auf sich aufmerksam gemacht und für die in der BRD gerade erst beginnende Exilforschung breites Interesse geweckt. Der Katalog verzeichnet 362 Exponate - fünf Prozent des damaligen Bestandes) - und erlebte wegen starker Nachfrage 1966 die zweite, 1967 die dritte Auflage. Geschichte und Vorgeschichte

Werner Berthold, der die Exil-Abteilung von 1958 bis 1984 leitete und die Ausstellung erarbeitet hatte, erinnert im Einleitungstext des Katalogs von 1967 an die Vorgeschichte der Sammlung, die mit der Bücherverbrennung 1933 und dem Exil zahlreicher deutschsprachiger AutorInnen begann. Auf Initiative von Alfred Kantorowicz (1899-1979) und Willi Münzenberg (1889-1940) gründeten einige von ihnen am 10. Mai 1934 in Paris demonstrativ die „Deutsche Freiheitsbibliothek“, die u.a. alle im Dritten Reich verbotenen Werke sammeln sollte. Zu ihrem Präsidenten wurde Heinrich Mann gewählt.

Der Beginn des 2. Weltkriegs setzte diesem ersten Versuch einer Exil-Sammlung ein Ende. Erst in der 1946 gegründeten Deutschen Bibliothek, der 'Nationalbibliothek‘ der späteren Bundesrepublik, ergab sich eine neue Möglichkeit: Ihr erster Direktor Hanns W. Eppelsheimer (1890-1972), der selbst ab 1933 durch die Nationalsozialisten zwangspensioniert gewesen war, gliederte der allgemeinen Sammlung ab 1948 die Abteilung Exilliteratur an.

1949 veröffentlichte die seit 1911 bestehende Deutsche Bücherei in Leipzig ein Verzeichnis aller Schriften (als Ergänzung 1 der Deutschen Nationalbibliographie), die sie in ihrer Eigenschaft als nationale Zentralbibliothek 1933-1945 zwar erwerben konnte, aber nicht im Deutschen Bücherverzeichnis anzeigen durfte; sie hat seither ihre Sammlung der Exilpublikationen weiter ausgebaut.

Die Frankfurter Sammlung, die ohne Vorarbeit auf diesem Gebiet neu begann, war besonders auf die Unterstützung ehemaliger EmigrantInnen wie Walter Fabian, Wilhelm Sternfeld und Walter A. Berendsohn angewiesen, die zur Rekonstruktion einer „Deutschen Freiheitsbibliothek“ durch Schenkungen aus eigenen Buchbeständen oder durch die Vermittlung antiquarischer Käufe wesentlich beitrugen.

Erst 1969 ging die Stiftung Deutsche Bibliothek durch Gesetz in die Trägerschaft des Bundes über, was auch die Sondersammlung Exilliteratur finanziell begünstigte: Allein in den siebziger Jahren vervierfachte sich der Bestand bibliographischer Einheiten (von 1971: 14.592 auf 1981: 66.166) vor allem durch Zuwachs im Bereich der Autographen und Mikrofilme. Dagegen wuchs die Zahl der Bücher und Zeitschriften, die in den fünfziger und sechziger Jahren vorrangig gesammelt worden waren, jetzt vergleichsweise langsamer (1971: 6884 Bücher und 6019 Zeitschriften; 1981: 9487 bzw. 7187 Bände). Inzwischen gehören zudem mehr als 1500 Flugblätter und etwa 900 Fotos zum Exil-Bestand. Eine umfassende Sammlung

Während einerseits der Informationsbedarf von Seiten der sich intensivierenden Exilforschung gestiegen ist, verlangsamte sich zugleich der Zuwachs an Büchern und Broschüren allmählich. So hat man Ende 1985 einen vorläufigen Redaktionsschluß gesetzt, um den bis dahin gesammelten Exilbestand für die jetzt vorliegende Katalogveröffentlichung zu verzeichnen, d.h. „Publikationen deutschsprachiger Emigranten, die in den Jahren 1933-1945 im Ausland erschienen sind“, sowie Veröffentlichungen bis 1950, „wenn der entsprechende Autor in diesem Zeitraum nicht nach Deutschland zurückgekehrt ist“ (S. X). Im einzelnen handelt es sich um Originalausgaben, Übersetzungen, Sammelbände, von deutschsprachigen EmigrantInnen illustrierte oder herausgegebene Bücher, aber auch um Übersetzungen ihrer Werke in andere Sprachen. Verzeichnet ist - soweit im Exilarchiv eben vorhanden - sowohl die Produktion von Verlagen und Organisationen im Exil wie auch Veröffentlichungen jüdischer Verlage und Organisationen nach 1933 in Deutschland, Österreich und in der Tschechoslowakei; hinzu kommen Veröffentlichungen von (noch) nicht emigrierten deutschsprachigen AutorInnen, deren Publikatonsfreiheit ab 1933 im Deutschen Reich behindert war. Für all diese in den einleitenden Benutzungshinweisen definierten Bucharten gilt der im Vorwort formulierte und für einen Bestandskatalog notwendige Vorbehalt: „Letzte Vollständigkeit wird sich (...) kaum erreichen lassen.“ (S. VIII)

Was die im Katalog nicht enthaltenen Exilperiodika angeht, stellt das Vorwort ein Verzeichnis der im Exilarchiv vorhandenen Zeitschriften in Aussicht. Vielleicht ebenso interessant wäre vermutlich ein Katalog der Nachlässe und Autographen (1988: 64.683!), aber auf beides wird man wohl noch länger warten müssen. Buch- und Lebensgeschichten

Zurück zu dem, was jetzt vorliegt: ein ausgesprochen schöner Katalogband mit sorgfältig-ausführlichen Titelbeschreibungen, die Vermerke zum Druck („Fraktur“), zur Umschlaggestaltung (z.B. ca. 80 Einbände und Schutzumschläge von John Heartfield), zu handschriftlichen Widmungen oder Besitzstempeln einschließen. So lassen sich bei einer im ganzen betont sachlich-nüchternen Aufmachung, die z.B. auf jede Abbildung verzichtet, aus solchen Anmerkungen, die über das bibliographisch Notwendige deutlich hinausgehen, Hinweise auf Buch- und Lebensgeschichten gewinnen.

So manifestiert sich etwa das Erbe der ersten Deutschen Freiheitsbibliothek in Paris im Besitzstempel der von Maximilian Scheer erarbeiteten Dokumentation Das deutsche Volk klagt an (Nr. 1045), die 1936 bei Carrefour in Paris erschien; eine Publikation über das Schulbuch im Dritten Reich (Nr. 4392), die der „Verband deutscher Lehrer -Emigranten“ 1937 in französischer Sprache herausbrachte, trägt den Besitzstempel dieser wenig bekannten Exilorganisation. Zahlreiche im Register zusammengeführte Hinweise auf den Vorbesitzer „Sammlung Berendsohn“ (für ca. 170 Titel) dokumentieren den gewichtigen Beitrag dieses 1933 selbst aus dem Hamburger Hochschuldienst entlassenen Germanisten und von da an lebenslang für seine MitemigrantInnen engagierten Publizisten zum Entstehen des Exilarchivs.

Dankenswert ausführlich erschließt der Katalog die verzeichneten Sammelwerke, deren Einzelbeiträge er größtenteils nennt: so z.B. im Fall der als Tarnschrift ab 1935 von Paris aus verbreiteten berühmten Exil-Anthologie Deutsch für Deutsche (Nr. 1031), der 1938 von Emil Julius Gumbel (1891-1966) herausgegebenen Sammlung Freie Wissenschaft (Nr. 1614) oder dem von Kurt Kersten (1891 -1962) für die Jahre 1939 und 1940 zusammengestellten Deutschen Freiheitskalender (Nr. 1050).

Kaum nötig zu erwähnen, daß auch die Zusammenstellung von Übersetzungen bzw. der nicht-deutschsprachigen Veröffentlichungen einiger EmigrantInnen ein sprechendes Bild ihres Wirkens im Exil und des sich ab 1933 ständig verkleinernden deutschsprachigen AdressatInnenkreises vermittelt: So erschienen von AutorInnen wie Albert Einstein oder Erika Mann - laut Katalog - nur je zwei deutsche Originalausgaben unter ihren nicht wenigen Veröffentlichungen der Exiljahre.

So willkommen den KatalogleserInnen die zahlreichen, klaren Verweisungen und die Aufschlüsselungen von Pseudonymen sind, so sehr werden viele den weitgehendden Verzicht auf biographische Daten bedauern. Diese gehören zwar nicht unbedingt in einen Katalog, der vor allem bibliographische Informationen vermitteln will, aber sie bilden immerhin den Rahmen des hier jeweils dokumentierten Abschnitts eines Lebenswerks. Im Register auch die Widmungen

Sowohl der Ausstellungskatalog von 1965 wie auch die 1962 erschienene Bio-Bibliographie zur Deutschen Exil -Literatur von W. Sternfeld und E. Tiedemann versuchen eine Kombination aus Kurzbiographie und bibliograpischier Beschreibung. Im neuen Katalogwerk ist davon nur noch der Verweis auf das hier schon erwähnte und seit seinem Erscheinen (Band 1-3, 1980-83) häufig wegen seiner Unvollständigkeit beklagte Biographische Handbuch der deutschsprachigen Emigration (Abkürzung: BHb) geblieben. Für etwa ein Drittel der im Katalog berücksichtigten AutorInnen dürfte die Suche dort erfolglos enden. Ein weites Feld ...

Sehr nützlich sind fraglos die beigefügten Register, die die nahezu 7000 Titel auf den fast 700 Seiten des Hauptteils nach Personen, Organisationen, Widmungen und Besitzvermerken sowie nach Verlagen erschließen. Zu den Verlagen ließe sich evtl. noch ein ergänzendes Register nach Erscheinungsorten denken; für das Sachregister (S. 709-714) mit seinen relativ großen Gruppen nach Gattungen (z.B. Tarnschriften: ca. 100; Kinder- und Jugendbücher: ca. 60), nach Wissensgebieten (z.B. Architektur: 12 Titel; Philosophie: ca. 160; Physik: ca. 40) und Formalgruppen (z.B. von Emigranten illustrierte bzw. von Emigranten übersetzte Bücher: jeweils weit über 100 Titel) eine engere Erschließung wünschen.

Es sei noch vermerkt, daß es sich bei den im Katalog aufgelisteten Raritäten um Magazinbestände handelt, die nicht über Fernleihe in anderen Bibliotheken zur Verfügung stehen, sondern nur im Leseraum des Exilarchivs selbst einsehbar sind. Aber dank des Katalogs weiß frau jetzt vorher, was sie dort erwartet oder was sie im Einzelfall auch in anderen Bibliotheken suchen kann.

Aber nicht die Benutzungsordnung der (gewiß doch: notwendigen) bücherverwaltenden Bürokratie soll abschließend das Wort haben, sondern ein Exil-Autor, der 1939 anläßlich des Jahrestages der Bücherverbrennung von der „Gefährlichkeit des Buches“ sprach, Alfred Wolfenstein (1883 -1945):

„Es gilt den Glauben an die vornehme Macht des Buches, des Buches der Dichter und Kämfper, gerade in der Zeit ordinärster Machtmittel zu bewahren. Es gilt, sein Ansehen im Licht einer mißlungenen Schändung zu stärken. Die Gefährlichkeit der Buchform wird, außer dem Gefährlichen des Inhalts, das ihre tun zugunsten der Kultur. Die Dichter werden diese wunderbare Form der gestalteten menschlichen Stimme in ihrem Feuer lebendig erhalten. Rufen wir, wenn jene Leute zum Lodern freier und guter Schriften riefen: Das Buch ist tot - Es lebe das Buch!“ (Zuerst in 'Pariser Tageszeitung‘ vom 10.5.1939; Nachdruck in der taz vom 13.5.1989, S. 27)

Ein Motto über 12 Jahre Bücherkampf gegen die Barbarei, wie über 40 Jahre Sammelarbeit gegen das Vergessen.

Deutsches Exilarchiv 1933-1945, Katalog der Bücher und Broschüren; Deutsche Bibliothek Frankfurt am Main (Redaktion: Mechthild Hahner; wiss. Leitung: Werner Berthold und Brita Eckert; Redaktionsschluß: 31.12.1985). Metzler Verlag, 714 Seiten (Sonderveröffentlichungen der Deutschen Bibliothek Nr. 16), Auflage: 750 Ex., Preis: 298,- DM.

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